Die Siechenmagd
bunte Gewandung überall für die ihr so unerwünschte Aufmerksamkeit sorgen. Andererseits mag sie aber die Schausteller, die bisher jeden Bissen gutherzig mit ihr geteilt haben, sehr und fühlt sich in ihrer Gegenwart ausgesprochen wohl. Während sich die Reisegruppe dem Waldrand nähert, hinter dem sich eine kleine Ortschaft abzuzeichnen beginnt, kommen sie an einem schmucken Forsthaus vorbei. Mäu hält dabei ganz schön die Luft an, denn Förster, so hatte sie der Boskenner gewarnt, gehörten häufig zu den Feinden der Fahrenden. Und als wolle sich diese Warnung noch vollends bestätigen, erscheint am Gartenzaun sogleich ein grimmig dreinblickender Waldaufseher mit zwei großen Wolfshunden, die sie mit gefletschten Zähnen wütend ankläffen. Schnell weiter!, denkt sich Mäu und ist heilfroh, als sie das Forsthaus endlich hinter sich gelassen haben. Als sie später durch das kleine Dorf ziehen wollen, sprengen plötzlich zwei Gendarmerieposten zu Pferde aus dem Wald und stellen sich den Reisenden bedrohlich in den Weg.
„Bis hierher und nicht weiter! In Flieden habt ihr nichts verloren! Macht euch bloß ab, sonst gibt es Fersengeld! Wir wollen in unserem Ort kein fahrendes Lumpenpack, das am Ende auch noch lange Finger macht. Haut woanders die Leute übers Ohr, aber nicht bei uns“, keift einer der Büttel und fixiert die Reisenden mit deutlicher Abneigung.
„Wir sind keine Gauner, sondern ehrliche Leute! Wir führen unser Viehzeug vor, musizieren und tanzen dazu, und wer will, gibt eine Spende und dann ziehen wir weiter unserer Wege. Aber wir luchsen keinem das Geld aus der Tasche und sind erst recht keine Diebe!“, entrüstet sich Lisbeth, das weibliche Familienoberhaupt und baut sich kämpferisch vor den Schergen auf.
„Egal was für ein Lottergewerbe ihr betreibt! Fahrendes Gesindel ist hier nicht geduldet! Das ist die Anordnung seiner Eminenz aus Fulda. Und wenn ihr jetzt auch noch renitent werdet, sperren wir euch gleich ins Loch! Da wird gar nicht lange gefackelt!“, droht nun auch der andere Gendarm. Hinter einigen Fernstern huschen schon verstohlen ein paar Köpfe hin und her, ansonsten wirkt der kleine Ort wie ausgestorben. Mäu durchleidet währenddessen wahre Todesängste und ist vor Schreck wie gelähmt. „Bitte, bitte nicht!“, murmelt sie wie von Sinnen vor sich hin. Immer noch aufgebracht, gleichzeitig aber auch verängstigt ob einer solch groben Behandlung, geben die Gaukler schließlich klein bei, machen auf der Stelle kehrt und treten gedemütigt den Rückzug an, wobei sie das feindselige Dorf in weitem Bogen umgehen.
Mäu kriegt die ersten hundert Meter keinen Ton mehr raus, ihr Atem geht stoßweise, und sie bebt am ganzen Körper. Mit Vergnügen würden ihr diese Büttel den Hals umdrehen, wenn sie wüssten, was sie getan hat!
„Als Fahrender bist du für solche Leute nichts anderes als ein vogelfreier Gesell! Frei zum Totschlagen!“, schimpft Hannes wütend. Auch Lisbeth, seine Frau, verschafft sich nun Luft:
„Was sollten wir denn machen, uns ist doch nichts anderes mehr übrig geblieben, als auf die Wanderschaft zu gehen! Zu Hause saßen wir doch nur noch vor unseren leeren Tellern und wussten nicht mehr ein und aus! Und jetzt titulieren uns diese Kerle hier als fahrendes Gesindel, das anderen das Brot stiehlt“, beklagt sich die Schaustellerin aufgebracht. „Gibt es denn für Leute wie uns gar keinen Platz mehr auf dieser Welt!“, stammelt sie erbittert und fängt an zu weinen. Mäu kann nun nicht mehr länger an sich halten, ihre seit Tagen aufgestaute Verzweiflung bricht sich nun Bahn und sie sinkt schluchzend zu Boden.
„Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr!“, gibt sie immer wieder von sich und erzählt den Schaustellern schließlich die ganze Wahrheit über sich. Lisbeth und Hannes sind beide schockiert darüber, eine polizeilich gesuchte Mörderin und Diebin als Reisegefährtin aufgenommen zu haben und müssen sich auf diesen Schreck hin erst einmal auf einen Baumstumpf setzen. Es fehlen ihnen die Worte und sie schauen Mäu betroffen an.
„Manchmal denk ich bei mir, ich sollte mich freiwillig stellen. Dann hat mein Elend wenigstens ein Ende. Doch ich häng halt noch am Leben, auch wenn es mir so miserabel geht“, entgegnet Mäu bedrückt. Auch wenn sie ihre Gefährten durch ihr Geständnis in heillose Aufregung versetzt hat, so fühlt sie sich trotzdem auch erleichtert darüber, dass nun endlich der Knoten geplatzt ist, und es kommt ihr vor, als ob eine
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