Die Siechenmagd
einmal schmerzhaft der eigenen Einsamkeit bewusst. Immer stärker vermisst sie einen Gefährten, dem sie vertrauen kann und der in dieser schweren Zeit zu ihr hält. Wie froh wäre sie, auf den Fuchs und seine Bande zu treffen oder auf den Flugblatthändler Albert.
14. „Das liechen um den Steinhaufen“
Für diejenigen unter den Fahrenden, die etwas ausgefressen haben und nach denen steckbrieflich gefahndet wird, ist es besonders wichtig, gefährliche Orte zu umgehen, an denen die Feinde der Vaganten lauern, wie bestimmte Gendarmerieposten, Torwachen, Forsthäuser oder die Behausungen von Spitzeln. Im Rotwelsch, der Sprache der Fahrenden gibt es für solche Umgehungen eine spezielle Redewendung: „Das liechen um den Steinhaufen.“
Mäus Dilemma ist, dass diese stetige, lebenswichtige Wachsamkeit ihren Reisegefährten nicht auffallen darf, und so stellt auch die Aufforderung von Franz und Theres, sie auf den Wochenmarkt zu begleiten, eine echte Zumutung für sie dar. Allzu genau erinnert sie sich noch an die Warnung des Boskenners, Menschenansammlungen nach Möglichkeit zu umgehen: Wo viele Menschen sind, da sind auch viele Augen!
Die Hausierer verstehen beim besten Willen nicht, warum Mäu sich gegen einen harmlosen Marktbesuch derartig sträuben kann und lieber alleine Weiterreisen will, als sich dort nach Reisegefährten umzuschauen, und versuchen sie umzustimmen:
„Also Maria, jetzt sei doch vernünftig, das ist schon noch ein ganz schönes Stück bis Leipzig und allein kannst du nicht gehen! Das ist viel zu gefährlich für ein Weibsbild! Guck dich doch erst nochmal um, ob du nicht Leute finden tust, die in deine Richtung machen. Los, komm jetzt mit, auf dem Markt trifft man immer ein paar Fahrende“, versucht Franz Mäu zu überreden, die am frühen Morgen schon mit Sack und Pack vor ihnen steht, bereit gleich aufzubrechen.
Um ihre Gastgeber nicht ganz und gar zu brüskieren, aber auch, weil sie einsieht, dass es wirklich besser ist, in Begleitung anderer zu reisen, folgt Mäu Franz und Theres schließlich doch auf den kleinen Dorfmarkt. War es für sie früher immer ein ganz besonderes Vergnügen, sich in das Marktgewimmel zu begeben, so ist sie jetzt allerdings durch ihre permanente Hab-Acht-Haltung fern einer jeglichen Entspannung und verfolgt das Marktgeschehen nur noch mit Argwohn, Sie gehen vorbei an einem Stand mit Gänsen und Suppenhühnern, zwischen denen Würste und Schinken an langen Schnüren befestigt sind. Auch eine kleine Garküche ist aufgebaut und es riecht nach Kohlsuppe mit Speck, daneben befindet sich ein Backwarenstand und den Abschluss bildet ein Stand mit Schafsfellen und Wolle. Das Spektakel des kleinen Marktes stellt momentan jedoch eine Gauklergruppe dar, um die sich bereits eine kleine Menschenmenge geschart hat. Franz und Theres, neugierig geworden, zieht es ebenfalls dorthin. Mäu, der keineswegs der Sinn nach Amüsement steht, folgt ihnen missmutig.
„Guck mal, Franzel, sind das nicht die Schausteller aus der Herberge bei Schotten?“, fragt Theres ihren Mann.
„Da hast du Recht, das sind sie! Lass uns nachher mal zu denen gehen“, entgegnet Franz und verfolgt interessiert die gerade beginnende Darbietung:
„Kommt herbei, Ihr Leut und schaut nur, was wir hier haben! So was hat die Christenwelt noch nicht zu sehen gekriegt! Meerkatzen und Maulaffen aus dem fernen Amerika! Seht sie Euch an, die possierlichen Wundertiere aus dem Land der wilden Bestien!“, verkündet ein kleiner Mann im buntscheckigen Gewand, untermalt vom durchdringenden Geläute seiner Handglocke und tänzelt dabei gewichtig um einen Karren mit allerlei Tierzeug. Eine füllige, junge Frau und drei Jungen in ebenso bunten Kostümen tun es ihm gleich und wiegen sich in beschwörenden Tanzschritten um den Wagen, als gelte es, dadurch die „wilden Bestien“ zu besänftigen. Die rundliche Frau trägt vielfarbige Schleier am spitz zulaufenden Hut und betätigt mit großer Geste ein Tamburin, ein halbwüchsiger Junge spielt dazu markerschütternd die Sackpfeife, begleitet von den Maultrommelklängen der beiden kleineren Knaben.
In dem Holzkarren befinden sich etwa zehn Meerschweinchen in den unterschiedlichsten Musterungen und zwei kleine Affen mit großen, traurigen Augen, die mit Leinen an einen Pflock fixiert sind. Die beiden Tiere tragen bunte Mützen und Jacken, die mit kleinen Silberglöckchen versehen sind. Der Tierhalter lässt sie von der Leine und wie auf Kommando veranstalten
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