Die Signatur des Mörders - Roman
die Bitte, ein Manuskript zu prüfen, das - er seufzte - unglaublich wertvoll sein sollte. Wie immer. Es handelte sich bereits um die dritte Anfrage in dieser Woche. All diese wertvollen Manuskripte stellten sich regelmäßig als Flops heraus.
Draußen ergoss sich nun der Regen auf die Straße. Die Dachrinne über dem Laden war verbogen, deshalb schwappte das Wasser als Sturzbach direkt über der Ladentür nach unten. Bei diesem Wetter würde kein Kunde einen Fuß auf die Straße setzen. Also öffnete Filip den Anhang, um das Dokument sofort in Augenschein zu nehmen. Um die Zeit zu überbrücken, bis die Datei vollständig geladen war, griff er nach der Rotweinflasche, die bereits geöffnet im Regal stand, goss sich Wein in einen Becher und kehrte zum Schreibtisch zurück.
Die Datei trug den Namen »Galerie-Fassung-D«.
Auf den ersten Blick handelte es sich um die Fotografie eines handschriftlichen Textes. Selbst am Bildschirm waren das vergilbte Papier, die verblasste Schrift zu erkennen. Was erwartete der mysteriöse Absender? Dass er anhand eines Computerausdrucks ein Gutachten erstellen konnte? Manche Leute waren wirklich naiv. Er schaltete den Drucker an. Nach und nach erschien mit leisem Quietschen das Papier im Schacht, bis die letzte Seite ausgespuckt war.
In der Regel stellte Cerny schon nach wenigen Minuten fest, ob es sich bei einem Manuskript um eine Fälschung handelte oder nicht. Diesmal jedoch kribbelte es in seinen Fingern, sobald er die Handschrift erkannte. Diese Schriftzüge, die innerhalb desselben Wortes auseinandertrifteten. Die ungewöhnliche Notation der Großbuchstaben zu Beginn eines Wortes. Das D zum Beispiel. Es setzte in der Mitte an, dann ging der schnelle Strich nach unten, um schließlich den Bogen schwungvoll herumzuziehen; oder das K mit dem kleinen Ring im Scheitelpunkt; die Unterstreichungen, durchgestrichenen Sätze, die markanten Satzzeichen. Eine auffällige Lebendigkeit, eine ungeheure Dramatik lag in dieser Handschrift. Und dazwischen immer wieder wie absichtlich verteilte große schwarze Tintenkleckse, als ob der Autor seine eigenen Texte nicht sonderlich ernst nähme. Als seien sie lediglich sinnlose Kritzeleien. Flüchtig, ja betont sorglos hingeschrieben.
Eine Spannung ergriff Filip. Sein Herz schlug schneller. In seinem Körper bildeten sich überall Knäuel aus elektrisierten Nervensträngen. Das Papier zitterte in der Hand, als seine Augen den Text Zeile für Zeile, Buchstabe für Buchstabe abtasteten. Die Schrift, der Stil: Alles stimmte.
Filip fühlte sich plötzlich wach wie am Morgen, wenn die Sonne über dem Hradschin aufging, und empfand genau diesen Zustand von Erregung, von dem sein Vater stets gesprochen hatte. Wenn es in seinen Fingerspitzen kribbelte, wenn das Unterbewusstsein Alarm schlug und plötzlich die Erkenntnis, die Eingebung, die Erleuchtung eintrat.
Gebannt betrachtete er den Text auf dem Bildschirm. War es der Schläfer, auf den er schon so lange gewartet hatte? Ja, er fühlte das Jagdfieber in sich, und er dachte an den Montag. Welch ein Zufall, dass ausgerechnet jetzt Milan Hus in Prag war! Zufall? Nein - Bestimmung!
Langsam und konzentriert las er den Text zum zweiten Mal. Sein Blick flog über den Titel Auf der Galerie, Überarbeitete Fassung D (XI 1916) , dieses Manuskript konnte Millionen wert sein. Aber das war nicht das Wichtigste: Wenn es sich als echt herausstellte, wäre es eine literarische Sensation.
Auf der Galerie Überarbeitete Fassung D (XI 1916)
Wenn irgendeine lungenkranke Tänzerin ihm die Türe öffnete und vor ihm stände in einem kurzen roten Hemd, das auf ihrem bleichen Körper überlief wie ein Sturzbach von Blut, was anders könnte er denken als: Lüge war alles.
Sie sprach nicht.
Und er schwieg.
Um seinen Kopf zuckten die Schlangen des Abscheus. Daß sie gerichtet werden mußte, geschah mit Recht. Sie war das Messer, das in ihm wühlte. Sie war das Bild in seinem Blick, das nur verblassen konnte, wenn er sich die Augen ausriß. Sie war die Hand, die das Pendel seines Herzens festhielt, so daß er nicht leben konnte.
So stand er vor ihr mit dem Grausen wie vor einem gefallenen Engel. Sie hatte mit der Hand die Welt berührt, und der Schmutz blieb an ihr haften. In diesem Moment die unverbrüchliche Gewißheit: Ein von seinen Teufeln gequälter Mensch muß befreit werden. Ein zum Sterben Bestimmter kann nicht durch Glück, nicht durch Mitleid am Leben bleiben.
Sie tanzte.
Wie sie die Hände warf und die
Weitere Kostenlose Bücher