Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
Vom Netzwerk:
Beine schwang.
    Sie flog durch die Luft. Er suchte ihre Augen, die sich geradezu verlegen aus seinen Armen wanden. Er wollte sie aufhalten, doch wußte er, es war noch zu früh. Noch konnte er ihrem Leben nicht das Halt zurufen, sich nicht entschließen, das Zeichen zu geben und den Kreis zu durchbrechen, in dem sie sich drehte. Immerzu im Kreis: ein Leben, das sich zu Tode windet.
    Schneller, schneller, schneller.
    Hätte sie nicht gelächelt.
    Hätte sie nicht den Kopf geschüttelt.
    Hätte sie nicht das Hemd gehoben.
    Das Zeichen.
    Recht sprechen mußte er.
    Er beugte sich vor, konnte nicht länger warten, erkannte in demselben Moment, daß er unterbrechen mußte, was beendet werden sollte vor der Zeit.
    Er griff nach dem Stock. Schwer lag er in seiner Hand wie ein Versprechen auf Rettung. Es war nicht leicht, das Urteil zu vollstrecken, doch hatte er es bereits zu lange hinausgezögert und konnte auch nicht auf das Zittern seiner Hände Rücksicht nehmen.
    »Halt!« schrie er und trat den Schritt nach vorne. Er konnte nicht anders und wollte auch nicht.
    Der erste Schlag brachte sie zum Schwanken.
    Der zweite Schlag zu Fall.
    Dann wurde es einfach.
    Und rechts auf die Brust und links an den Hals und drittens ins Gesicht.
    Schlangen, aufrecht stehend, zischen genauso, bevor sie töten, und Wasserratten, aufgeschlitzt, geben einen ähnlichen Laut von sich, bevor sie sterben. Und sterben ähnlich lange wie sie.
    Unendlich oft mußte er wiederholen, womit er begonnen hatte. Er bat die Schlange zu schweigen, die noch immer den Kopf erhob, und ihre Zunge in seinem Ohr flüsterte: »Das Urteil ist noch nicht vollstreckt.«
    So verfolgte er mit scharfem Blick ihre letzten Windungen, die sprunghaften Zuckungen ihres Körpers. Bis endlich Ruhe einkehrte und das Orchester des Todes schwieg.
    Kurze Freude!
    Erleichterung!
    Beflügelung, als noch der letzte Tropfen Blut aus diesem Körper vor seinen Augen versickerte.
    So lag sie also vor ihm, die Arme ausgebreitet, als stünde sie kurz davor, ihn ein letztes Mal zu umarmen. Den Kopf zur Seite gewandt, die Augen geschlossen, den Mund geöffnet, als flüstere sie ihm ein Danke zu, das ihm die Tränen in die Augen trieb.
    Nein, es ging ihm nicht um die Gerechtigkeit von Worten. Es ging um das Gleichgewicht der Welt. Es ging um die Weltgesetze, und er war der Jäger des Himmels, der dieses Urteil sprach.
    Er legte das Gesicht auf ihre Brust, und im Blut des Hemdes wie in einem schweren Traum versinkend, weinte er, ohne es zu wissen.
    Die Nacht und der Wind.
    Das Dunkel, das verbirgt.
    DerWind, der verweht.
    Er schmeckte das Blut auf seiner Zunge.
    Es war bitter.
    Doch er war - DER RICHTER.
    K.

Frankfurt am Main
    Montag, 30. April

8
    »Pan Tau.« Der Mann beschrieb mit dem rechten Zeigefinger einen imaginären Kreis um seinen Kopf. »Er sah aus wie Pan Tau.«
    Alex, wie er sich nannte, lallte, was ihn als Zeugen nicht gerade vertrauenswürdig erscheinen ließ. Er trug Jeans, die als solche kaum noch zu erkennen waren, darüber ein weißes T-Shirt mit einem verwaschenen Logo, dessen Inschrift Myriam nicht entziffern konnte. Die dünnen, ungewaschenen Haare klebten am Kopf, was die eingefallenen Wangen des Mannes nur noch stärker hervortreten ließ, zudem wies die Gesichtshaut ein ekelhaftes Ekzem auf.
    Er kam ihr bekannt vor. Diese Narben in dem vergilbten Gesicht. Dann erinnerte sie sich. Der Typ gestern im Treppenhaus.
    »Pan Tau?«, fragte Ron nun seufzend.
    Offensichtlich, dachte Myriam, befindet sich dieser Alex in einem wirren Delirium. Genauso gut kann er behaupten, unter dem Tisch weiße Mäuse vorbeihuschen zu sehen. Nein, das würde mich nicht wundern, denn er ist bis obenhin zugedröhnt, obwohl es erst zehn Uhr war.
    Myriam war nach der schlaflosen Nacht völlig übermüdet, trotzdem hatte sie auf dem Weg ins Gericht beschlossen, im Präsidium vorbeizufahren, um sich über den neuesten Stand der Ermittlungen zu informieren und - nein, sie war unsicher, ob sie Henri von dem Anrufer erzählen sollte. Es würde klingen, als appelliere sie an sein Mitleid, um ihn zurückzugewinnen.
    Sie hatte die drei, Henri, Ron und Alex, in der Cafeteria angetroffen, wohin die beiden Hauptkommissare den Obdachlosen geschleppt hatten, um ihn mit zwei doppelten Espressos wach zu bekommen.
    »Pan Tau?«, wiederholte Ron zum zweiten Mal.
    »Du weißt schon, dieser Typ, der sich klein machen kann«, erklärte Alex.
    Ron nickte gleichgültig, während Myriam sich daran erinnerte, dass sie

Weitere Kostenlose Bücher