Die Signatur des Mörders - Roman
nickte.
»Wie hat sie sich umgebracht?«
Hus räusperte sich, und sein Blick flog zu Myriam. »Ich habe keine Ahnung, weshalb das für Ihren Fall eine Rolle spielen sollte, aber bitte sehr. Ich nehme sowieso an, dass Sie es bereits wissen. Ich hoffe nur, Sie haben David nicht danach gefragt. Er hat sehr unter dem Selbstmord seiner Mutter gelitten, konnte monatelang nicht schlafen.«
»Nein«, beruhigte ihn Myriam.
»Meine Frau, also Davids Mutter, ist vor allen Leuten auf das Geländer der Karlsbrücke geklettert und ins eiskalte Wasser gesprungen. Mitten im Winter, bei minus zehn Grad. Niemand konnte ihr helfen.«
»Hat sie das getan, weil Sie sie verlassen haben?«, fragte Henri.
Er will Milan Hus verletzen, dachte Myriam, aber wieso?
»Scheint Ihnen die Welt so einfach?«, fragte Hus. »Glauben Sie wirklich, jemand bringt sich um, nur weil er unglücklich liebt? Weil er von jemandem verlassen wird? Nein, meine geschiedene Frau litt unter starken Depressionen und weigerte sich beharrlich, entsprechende Medikamente einzunehmen.«
Myriam registrierte die Anspannung im Raum. Hus spürte den Vorwurf. Aber er gehörte zu ihren wichtigsten Zeugen. Sie durften ihn nicht verlieren. »Helena Baarova lebte also bei Ihnen als eine Art Au-pair?«, fragte sie.
»So könnte man es nennen, ja.« Der Professor wandte sich ihr zu, entspannte sich.
»Weshalb ist sie ausgezogen?«, mischte sich Henri erneut ein. »Waren die Arbeitsbedingungen bei Ihnen so schlecht?«
Was war nur mit ihm los? Normalerweise überließ er Ron diesen Part. Aber offenkundig misstraute er dem Professor, obwohl dieser bereitwillig alle Fragen beantwortete und höflich blieb, auch wenn Henri ihn attackierte. Gut, eine gewisse Arroganz lag in seinem Verhalten, aber dafür hatte Myriam durchaus Verständnis, schließlich warf man ihr genau dasselbe vor.
»Weshalb sie ausgezogen ist?«, hörte sie Hus. »Sie wollte … sie hatte die Absicht, sich um ihre Karriere als Tänzerin zu kümmern.«
»Dann hätte sie doch weiter bei Ihnen wohnen können.«
Hus hob die Schultern. »Das wollte sie nicht.«
»Warum nicht?«
»Keine Ahnung.«
»Ist sie gleich nach ihrem Auszug in das Haus im Bahnhofsviertel gezogen?«, fragte Ron.
»Ich glaube schon.«
Andererseits hat Henri recht, etwas stimmt hier nicht, dachte Myriam.Welches Mädchen, das fremd in der Stadt ist, verlässt eine gute Wohngegend, um in das Bahnhofsviertel zu ziehen?
»Hatte sie vielleicht jemanden kennengelernt?«, fragte sie neugierig. »Einen Mann?«
»Davon weiß ich nichts.«
»Aber Sie hatten doch nach Helena Baarovas Auszug noch Kontakt zu ihr?«, wollte Henri wissen.
»Nur ab und zu. So gut kannten wir uns wirklich nicht.«
»Wenn Sie aber bei Ihnen gewohnt hat …«
»Das war nur für eine kurze Zeit …«
»Wie kurz?«
»Nun, einige Monate.«
»Geht es genauer?«
»Sechs, sieben Monate vielleicht.« Milan Hus verlor die Geduld. »Herrgott, ich weiß nicht, was Sie von mir wollen. Ich kannte Helena so gut, wie man jemanden kennen kann, der so viel jünger ist.«
»Sie gehörte doch zu Ihren Studenten. Wir haben einen Studentenausweis gefunden. Sie war in Ihrem Fachbereich eingeschrieben«, erklärte Ron.
Hus schüttelte den Kopf. »Ach, das … ich dachte, sie hätte sich längst exmatrikuliert. Helena besaß keinen deutschen Pass, doch als Studentin konnte sie ohne Probleme eine - ich glaube, man nennt es Freizügigkeitsbescheinigung erhalten.«
»Das heißt also, sie besuchte keine Vorlesungen oder Seminare bei Ihnen?«
Hus schüttelte den Kopf. »Nein, sie wollte lediglich die Zeit überbrücken, bis sie ein Engagement bekam. Deshalb kam sie nach Frankfurt. Sie wollte ihr Ziel verwirklichen - bei Forsythe zu tanzen.«
»Bei wem?«, fragte Ron.
»Forsythe. William Forsythe. Einer der bekanntesten Choreografen in Deutschland. Mit ihm steht und fällt das Ballett in Frankfurt. Ich nehme an, Sie interessieren sich nicht für das kulturelle Leben dieser Stadt.«
»Interessieren Sie sich für Mord und Totschlag?«, gab Ron zurück.
Hus hob die Hände. »Sie haben natürlich recht. Jeder ist nun einmal Spezialist auf seinem Gebiet.«
»Ihr Schwerpunkt ist die Literatur?«, mischte sich Henri erneut ein.
»Europäische Literaturgeschichte.«
»Wo waren Sie, als Helena Baarova umgebracht wurde?«
»In Prag«, erklärte Hus ruhig. Henris Frage schien ihn in keiner Weise zu beunruhigen.
Henri schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Sie waren in Prag, als die Leiche
Weitere Kostenlose Bücher