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Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Etwas in ihm weigerte sich offenkundig zu verstehen, wie grausam Helena Baarova gestorben war.
    In diesem Moment fiel ihr etwas ein: »Ihre Bemerkung vorhin in der Vorlesung über Justin Brandenburg …«
    Er sah sie irritiert an.
    »Sie sagten, er werde hoffentlich das nächste Mal anwesend sein. Was meinten Sie damit?«
    »Ach so. Er sollte heute ein Referat halten, aber er ist nicht erschienen.«
    »Wo ist er denn?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Ich dachte, er wohnt bei Ihnen?«
    »Nicht mehr«, antwortete Hus. »Er ist ausgezogen.«
    »Ausgezogen?«, fragte Myriam alarmiert. »Wann?«
    »Ich habe keine Ahnung. Als ich aus Prag zurückkehrte, war er verschwunden.«
    »Können Sie mir sagen, wo er jetzt wohnt?«
    »Nein. Er hat keine Adresse hinterlassen.«
     
    »Er lügt«, sagte Henri, sobald sie Milan Hus’ Büro verlassen hatten.
    Mühsam bahnten sie sich einen Weg durch die Gruppen von Studenten, die das Universitätsgebäude bevölkerten. Während Ron und Henri sich über die Glaubwürdigkeit des Professors unterhielten, beschäftigte Myriam der Gedanke, warum Henri versucht hatte, Milan Hus mit allen Mitteln zu provozieren. Das war ungewöhnlich für ihn. Ron, ja, der versetzte ständig Zeugen in Unsicherheit. Es war geradezu ein Hobby von ihm und ein ständiger Streitpunkt zwischen ihr und Ron, aber Henri tat so etwas nicht. Die einzige Erklärung dafür war, dass er den Professor als Tatverdächtigen betrachtete.
    »Wie kommst du darauf, dass er lügt?«, fragte sie an Henri gewandt.
    »Er weiß mehr über Helena Baarova, als er uns verrät.«
    »Warum bist du dir so sicher?«
    »Das verrät mir ganz tief innen mein Gefühl«, erklärte er mit Ironie in der Stimme und ohne sie anzusehen.
    Er will mich verletzen, dachte sie. Nichts hätte sie deutlicher spüren lassen können, dass ihre Beziehung beendet war. Und wie er ganz tief innen betonte, zeigte, dass diese Worte auch ihr galten.
    Sie kannten sich seit fast zwei Jahren. Ein Jahr lang waren sie ein Paar gewesen. Sie hatten einander auf eine Weise verstanden, wie es Freunde taten. Ja, Henri kannte sie besser als sonst jemand. Niemals hatte sie sich zuvor einem Menschen gegenüber so weit geöffnet. Er hatte es geschafft, ihr die Angst zu nehmen. Die Angst vor ihrer inneren Gefühllosigkeit, die sie immer wieder daran hinderte, sich frei zu fühlen.
    Und nun war der Zeitpunkt gekommen, an dem die Strafe für ihr Vertrauen folgte.
    Mit seinen Worten sagte er ihr, dass sie die ganze Zeit recht gehabt hatte. Ganz tief in ihrem Innern war sie gefühllos.
    »Ich glaube nicht, dass er lügt«, sagte sie. »Schweigen ist nicht gleichbedeutend mit Lügen. Und was sollte das mit dieser Erzählung von Kafka?«
    »Nun, das Buch lag nicht weit von Helena Baarovas Leiche entfernt auf dem Boden.«
    »Na und?«
    »Es enthält folgende Widmung, die er, Milan Hus, eigenhändig hineingeschrieben hat: ›Liebe ist, daß Du mir das Messer bist, mit dem ich in mir wühle.‹«
    Er wandte sich abrupt um und ließ sie einfach stehen mit dem Gefühl, er meinte mit diesem Zitat sich selbst.

16
    Nach zwei Stunden am Computer beschloss Myriam, sich eine Minute zu gönnen, um zur Entspannung im Strafgesetzbuch zu lesen. Nein, dies war kein übertriebenes Pflichtbewusstsein, sondern eine Marotte ihrerseits. Die klare, um Eindeutigkeit bemühte Sprache des Gesetzes machte den Kopf frei und brachte sie zurück auf den Boden der Tatsachen. Dies schien ihr besonders wichtig an Tagen, an denen sie unkonzentriert war, ihre Gedanken durcheinanderliefen und sie geradezu körperlich spürte, dass es in den Ereignissen keine Logik gab.
    Das Körbchen mit der Aktenablage stand prall gefüllt vor ihr. Diese Woche gab es fünf Prozesse, die sie führen musste. Drei Fälle, die auf Totschlag hinausliefen, und der Mord an einem Gastwirt. Tatort: ein indisches Restaurant in der Taunusanlage. Danach eine schwere Körperverletzung, bei der der Täter, ein fünfundzwanzigjähriger Student, im Fußballstadion auf einen der Sicherheitsleute eingeprügelt hatte. Wieder nüchtern, hatte er einen Selbstmordversuch unternommen. Abgesehen davon war sie in dem Bermudafall noch zu keiner Entscheidung gekommen, wie sie ihre Anklage aufbauen sollte. Nur eines wusste sie: Sie würde die Höchststrafe fordern.
    Ungeduldig erwartete sie den Anruf der Kriminalpolizei. Sie hatten verabredet, sie ständig über die Ermittlungen im Fall Helena Baarova auf dem Laufenden zu halten. Doch bisher war ein Anruf

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