Die Signatur des Mörders - Roman
Hillmer.
»Aber Kellermann …«, wandte Myriam ein. »Wir haben uns geeinigt. Ich habe ihm den Fall nicht entrissen, wie Sie sagen. Er war froh, ihn loszuwerden.«
Hillmer beugte sich über den Schreibtisch. Weißer Speichel hing im rechten Mundwinkel.
»Ich bin Ihr Abteilungsleiter und fordere Sie in dieser Funktion auf, sich an meine Anweisungen zu halten.«
»Aber Kellermann verhandelt nun einmal lieber die unspektakulären Fälle.«
»Was Kellermann will, spielt keine Rolle. Er hatte am Wochenende Rufbereitschaft, aber Sie haben es nicht für nötig befunden, ihn anzurufen.«
»Es ist nicht meine Aufgabe, ihn zu benachrichtigen. Ehrlich gesagt, bin ich davon ausgegangen, dass die Kripo ihn informiert hat und er darauf verzichtete, am Tatort zu erscheinen. Das ist schließlich nicht ungewöhnlich. Außerdem«, fügte sie hinzu, »war ich gerade zufällig da.«
»Zufällig?«
»Im Übrigen«, unterbrach Myriam ihn, »sprechen wir seit Jahren unter den Kollegen ab, wer welchen Fall übernimmt.« Langsam verlor sie die Geduld. »Sie haben sich nie auch nur einen Scheiß darum gekümmert.Warum also jetzt?«
»Weil hier alle machen, was sie wollen«, schrie er.
»Während Sie sich nur um Ihr eigenes Seelenheil kümmern.«
»Verlassen Sie sofort mein Büro.«
»Aber gerne doch.« Myriam erhob sich. Bereits in der Tür stehend, wandte sie sich noch einmal um. »Wissen Sie, Sie brauchen nicht mit mir zu reden. Wenn Sie glauben, Sie müssten sich kraft Ihres Amtes in meine Arbeit einmischen, dann schicken Sie mir doch bitte in Zukunft Ihre Anweisungen einfach schriftlich. Ich bin Beamtin. Ich weiß, dass ich mich daran halten muss.«
Lautstark knallte sie die Tür zu und beeilte sich, in ihr Büro zu kommen.
Als sie die ersten Stufen der Treppe hinunterging, spürte sie das Handy in der Jackentasche vibrieren. Noch bevor sie einen Blick auf die Nummer geworfen hatte, wusste sie, es konnte nur Henri sein. Ihre privaten Probleme waren jetzt völlig unwichtig. »Wo bist du? Ich habe eine Scheißwut«, rief sie laut, um die schlechte Verbindung zu überbrücken.
»Im Auto. Es gibt Neuigkeiten.«
»Allerdings. Ich habe auch welche.«
Henri ignorierte ihre Bemerkung: »Helena Baarova hat an dem Nachmittag an einem Casting teilgenommen.«
»Was für ein Casting?«
»Es wurden Tänzerinnen für ein Musical gesucht.«
»Und du meinst, jemand von denen …«
»Das Casting fand im Arabella-Hotel statt. Wir haben Wagner mit einigen Beamten hingeschickt, damit er die Aussagen aufnimmt.«
»Ihr solltet Wagner loswerden.«
»Das können wir uns nicht leisten. Dort befanden sich an die hundert Bewerberinnen, dazu die gesamte Crew, die das Casting organisierte. Ich werde dir eine Liste der Personen schicken.«
»Ich habe ja gleich gesagt, ihr sollt euch nicht nur auf Milan Hus konzentrieren.«
»Was findest du nur an ihm?«
»Was ich bei anderen Männern nicht finde.«
Am anderen Ende der Leitung trat ein längeres Schweigen ein.
»Entschuldige«, sagte Myriam nach einiger Überwindung, »aber …«
»Schon okay, ich weiß deine Offenheit zu schätzen.«
»Nein, Henri, es ist nur …«, stammelte sie. »Ich bin draußen.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Hillmer hat mir den Fall entzogen. Ich bin draußen.«
Das Schweigen am anderen Ende dauerte nur kurz.
»Da kann man nichts machen«, bemerkte Henri schließlich.
»Ist das alles, was du zu sagen hast?«
»Wir alle haben Chefs. Wir alle müssen uns an die Regeln halten.«
»Du hast gut reden. Du kommst mit deinem Abteilungsleiter Faber schließlich super aus.«
»Es liegt immer an beiden.«
Dass Henri dies sagte, empfand Myriam als Verrat. Wie oft hatten sie über Hillmer diskutiert und waren sich über dessen Unfähigkeit einig gewesen.
»Du findest seine Entscheidung also in Ordnung?«
»Was erwartest du? Wenn Hillmer dir einen anderen Fall gibt, dann kann ich nichts machen und du auch nicht. Wer hat denn nun den Fall?« Henris Stimme klang sachlich, geradezu neutral. Okay, wenn er in diesem Ton mit ihr sprechen wollte, sollte er doch.
Zwei junge Männer kamen ihr auf der Treppe entgegen, die Köpfe glatt rasiert. Myriam fühlte, wie ihr heiß wurde. Sie begann zu schwitzen. Kamen die beiden ihr bekannt vor? Oder sahen alle Neonazis gleich aus? Seit dem Überfall vor gut einem Jahr löste jeder Glatzkopf in ihr Panik aus. Sie gingen an ihr vorbei, und sie roch wieder dieses aufdringliche Rasierwasser, das sie nie vergessen würde.
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