Die Signatur des Mörders - Roman
offenbar beiden Opfern seine, wie die Polizei es nennt, Signatur ins Fleisch geschnitten. Unbestätigten Quellen zufolge soll es sich um den Buchstaben K handeln.«
Aufrecht sitzend starrte Cerny auf den Bildschirm, wo nun ein Interview mit der Mutter der Tänzerin gesendet wurde. Eine aufreizend gekleidete Frau, die sich rühmte, ihre Tochter selbst ausgebildet zu haben, was sich Filip angesichts ihres Körperumfangs nicht vorstellen konnte.
»Wir sind wieder da«, erklang Pavels sorglose Stimme vom Flur.
Jemand hatte das Mädchen zu Tode gepeitscht. Und der Student? Er war verhungert. Die Parallele zu den beiden Manuskripten, die er erhalten hatte, erschien ihm in diesem Moment offensichtlich. Er sprang aus dem Sessel.
»Hast du Hunger?«, hörte er Dora fragen. Er antwortete nicht.
»Was ist los?«, wollte sie wissen.
Er ignorierte sie.
Jetzt ging es nicht mehr darum zu beweisen, dass es sich um unbekannte Fassungen oder Entwürfe der beiden Erzählungen handelte. Das war plötzlich belanglos. Nur noch der Inhalt hatte eine Bedeutung und die Tatsache, dass in beiden Manuskripten, die der unbekannte Absender ihm geschickt hatte, zwei Morde beschrieben wurden, die eine frappante Ähnlichkeit mit denen in Frankfurt aufwiesen.
»Warum ist denn der Fernseher so laut?«, hörte er Dora von Weitem schimpfen.
Und was war mit dieser, wie hatte der Sprecher es genannt, Signatur? Unbestätigten Quellen zufolge soll es sich um den Buchstaben K handeln, hatte er noch die Stimme im Ohr.
Ein K als Signatur? War das ein Zufall? Nein! Wenn es sich bei den beiden Manuskripten angeblich um Fassungen von zwei der bedeutendsten Erzählungen Kafkas handelte, dann konnte dies alles doch kein Zufall sein, oder?
Sein Herz hämmerte. Er wusste nicht, ob es Aufregung war oder einfach Angst.
»Sag mal.« Er erschrak, als plötzlich seine Frau neben ihm stand. »Antwortest du mir jetzt nicht einmal mehr?«
»Ich muss in den Laden.«
»Jetzt?«
Das Geräusch, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, erinnerte ihn an ein Kartenhaus, das in sich zusammenfiel. Er sah die Karten zusammenstürzen, die er so mühsam aufeinandergetürmt hatte.
Frankfurt am Main
Donnerstag, 17. Mai Christi Himmelfahrt
21
Es war gegen zehn Uhr, als Myriam zurück in ihrer Wohnung war. Sie hatte den Abend bei ihrem Vater verbracht, wo sie sich stundenlange Vorträge ihrer Schwester anhören musste. Das Haus ihrer Eltern war offenbar dem Verfall preisgegeben. Detailliert listete Sarah alle Schäden auf, bis Myriam zu dem Ergebnis kam, das Reihenhaus müsse abgerissen werden. Zu allem Überfluss fragte ihre Schwester noch, ob Henri sich nicht darum kümmern könne.
Mein Gott, welche Rolle spielte es, ob der Putz von der Fassade bröckelte oder der Kamin undicht war? Es schauderte sie bei dem Gedanken, ihrem Vater eine gründliche Renovierung zuzumuten. Wie lange würde ihr Vater noch leben?, hatte sie geflüstert. Das schlechte Gewissen nagte dennoch an ihr wie die Feldmäuse, die angeblich durch die undichte Kellertür ins Haus gelangten.
Sarah brauchte das: Probleme. Nun, da sie sich Hilfe geholt hatten, eine zuverlässige Pflegekraft, die sich den ganzen Tag liebevoll um ihren Vater kümmerte, suchte ihre Schwester nach neuen Herausforderungen, bei denen sie ihre Tüchtigkeit beweisen konnte.
Myriam legte die Tasche auf die Kommode im Flur und warf den Mantel auf das Schuhregal unter der Garderobe.
Missmutig ging sie ins Wohnzimmer, wo sie den Fernseher anschaltete und sich erschöpft aufs Sofa warf. Ich hätte das nicht zu Sarah sagen dürfen, dachte sie, von wegen: Ich habe keine Zeit für diesen Scheiß. Andererseits bedeutete dies für Wochen angenehme Funkstille.
Von der Verhaftung Milan Hus’ erfuhr sie, als sie am Einnicken war. Augenblicklich war sie wieder hellwach und schaltete entsetzt von einem Kanal zum anderen, um überall dasselbe zu erfahren: Der renommierte Literaturprofessor Milan Hus wurde des Mordes an der tschechischen Tänzerin Helena Baarova sowie am Studenten Justin Brandenburg beschuldigt.
Die Bilder sprachen für sich. Mit sichtlicher Freude wühlten die Medien gnadenlos in den grausamen Details von der Geißelung der Tänzerin bis zum jämmerlichen Verhungern eines begabten Studenten, der Gedichte schrieb. Milan Hus selbst wurde zu einem bisexuell orientierten Professor, der seine Studenten verführte.
Es mussten neue Beweise vorliegen, die sie nicht kannte. Ohne ausreichende Beweise, ohne einen dringenden
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