Die Signatur des Mörders - Roman
Tatverdacht würde Kellermann eine solche Entscheidung nicht treffen.
Myriam fand das Telefon im Wohnzimmer unter unzähligen leeren DVD-Hüllen auf dem Sofa. Sie wählte Rons Nummer und wollte bereits auflegen, als Berit völlig außer Atem abnahm.
»Myriam?« Berit reagierte überrascht, doch hatte sie offenbar noch nicht geschlafen. Ihre Stimme klang hellwach und sichtlich gut gelaunt.
»Ich muss sofort Ron sprechen.«
Ein unbehagliches Schweigen trat ein, als sie im Hintergrund laute Stimmen, dann Gelächter hörte.
»Störe ich? Habt ihr Gäste?«, fragte sie.
»Moment, ich hole Ron.«
»Ist Henri bei euch?«
»Möchtest du nicht …?«
»Schon gut, sag Ron einfach, ich muss ihn dringend sprechen.«
Myriam war überzeugt, Henris Stimme gehört zu haben, was ihr einen Stich versetzte. Er hatte sie an den Tatort gerufen, ihr Justin Brandenburgs Leiche gezeigt, und nun hielten sie es nicht einmal für nötig, sie persönlich darüber zu informieren, dass sie Milan Hus in Untersuchungshaft genommen hatten.
»Wer bin ich für euch?«, platzte sie wütend heraus, als Ron sich meldete. »Nur jemand, der eure Anweisungen befolgt? Ich dachte immer, das müsste umgekehrt sein. Ich lasse mich nicht zum Handlanger der Kriminalpolizei machen, scheißegal, was Hillmer sagt. Das könnt ihr mit mir nicht machen.«
»Myriam, beruhige dich …«
»Ihr habt Milan Hus verhaftet? Warum? Welche Beweise habt ihr?«
»Das kann dir Kellermann morgen …«
»Jetzt, ich möchte es jetzt wissen …«
»Es ist nicht dein Fall!«
»Ach, komm mir jetzt nicht mit Formalitäten, Ron. Ich habe Helena Baarovas Leiche gesehen. Brandenburgs abartiges Grinsen geht mir nicht aus dem Kopf. Ich möchte wissen, was los ist.«
»Es gab eine neue Entwicklung.«
»Welche neue Entwicklung?«
Ron antwortete nicht, stattdessen vernahm sie im Hintergrund eine kurze Diskussion und gleich darauf Henris Stimme am Apparat.
»Myriam?«
Sie spürte, wie sich alles in ihr zusammenkrampfte, doch sie würde ihm ihre Enttäuschung nicht zeigen.
»Welche Beweise habt ihr, um Milan Hus zu verhaften?«
»Lass uns das morgen besprechen. Es ist schon spät.«
»Es ist mir egal, wie spät es ist.«
»Sprich mit Kellermann, Myriam. Ich kann dir das nicht am Telefon...« Bevor Henri weiterreden konnte, beendete Myriam das Gespräch. Sie warf das Telefon wütend in die Sofaecke, wo es abprallte und mit voller Wucht auf den Parkettboden knallte, sodass die Batterien heraussprangen.
Sie war wütend. Verdammt wütend. Die Aggressionen, die sich den ganzen Abend in der ermüdenden Diskussion mit Sarah angestaut hatten, brachen sich ihre Bahn.
Sie saßen also jetzt dort zusammen, redeten, lachten. O ja, auch über sie. Sie war nicht naiv. Ihre Person unterlag nicht der Immunität.
Keiner von ihnen hatte es für nötig befunden, sie über Hus’ Verhaftung zu informieren. Natürlich mussten sie es auch nicht. Es war nicht ihr Fall. Nein, sie war allenfalls gut genug, um die ekelhafte Drecksarbeit am Tatort zu machen und einen detaillierten Bericht für Kellermann zu schreiben.
Nicht nur Henri hatte sie abserviert, sondern auch Ron und Berit. Und sie hatte diese für ihre Freunde gehalten.
Frankfurt am Main
Freitag, 18. Mai
22
Die Türen im Landgericht waren nicht schalldicht. Myriam stand vor Kellermanns Tür und hörte ihn telefonieren. Ohne anzuklopfen, trat sie ein, knallte ihre Tasche auf seinen Schreibtisch und verschränkte in demonstrativer Abwehrhaltung die Arme über der Brust. Allerdings kühlte sich ihre Wut sofort ab, als sie das schlechte Aussehen des Oberstaatsanwaltes wahrnahm. Kellermann machte den Eindruck, als habe er die ganze Nacht nicht geschlafen. Er sah abgekämpft aus, mit einem gehetzten Ausdruck im Gesicht. Seine Stimme klang erschöpft, während er seinem Gegenüber am Telefon erklärte: »Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.«
Es folgte eine längere Pause, während die Person am anderen Ende weiter auf Kellermann einsprach, bis dieser kraftlos erwiderte: »Sie müssen sich damit abfinden.«
Er hörte noch einen Moment ungeduldig zu, die Finger so fest um einen Kugelschreiber verkrampft, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Ich habe meine Entscheidung getroffen.«
Er legte auf, strich sich nervös mit zitternder Hand übers Gesicht.
Myriam betrachtete ihn forschend. Ihr Zorn, den sie die ganze schlaflose Nacht genährt hatte, verflog augenblicklich. Dafür stellten sich Kopfschmerzen ein. Kellermanns Miene wirkte
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