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Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Halbdunkel.
    »Warum sind die Rollos bis auf das eine noch unten?«, fragte sie energisch.
    »Wir sind noch nicht dazu gekommen, mit der Arbeit anzufangen.«
    »Warum nicht?«
    »Warte, bis du das Schlimmste gesehen hast.«
    »Was meinst du?«
    »Sieh selbst.«
    Myriam ging einen Schritt nach vorne auf die Leiche zu, konnte jedoch kaum etwas erkennen, ahnte lediglich, in welchem Zustand der Körper sich befand. Dieses wabernde Fleisch, das nicht länger so genannt werden konnte, hatte sich mit Hilfe von Maden in eine grünliche Masse verwandelt. Dazu kam das aufdringliche Summen der Fliegen.
    Meinte Henri das? Das war nichts Ungewöhnliches, nichts, dem sie nicht schon einmal begegnet wäre. Warum also das Entsetzen, das den ganzen Raum erfüllte?
    »Mein Gott, zieht jetzt endlich die Rollos hoch, damit ich etwas sehen kann«, machte sie sich Luft.
    Henri trat zum Fenster, während sie sich zu der Gestalt am Boden hinabbeugte. Obwohl er nur ein Rollo, und das nur wenige Zentimeter, nach oben zog, reichte das Licht aus, um Myriam entsetzt zurückweichen zu lassen.
    Denn der Mann vor ihr, an die Wand gelehnt, starrte Myriam entgegen. Er lächelte. Nein, das war kein Lächeln. Es war das boshafte Grinsen des Todes.
     
    Der Mund. Ein großer breiter Mund in einem Gesicht, das keines mehr war. Nur noch Haut, die sich über Wangenknochen, Kiefer und Nasenbein auflöste. Umso absurder wirkte dieses Lächeln. Eine Art Halloweengrinsen, und die Augen: zwei tiefe schwarze Abgründe.
    »Was ist das?«, fragte Myriam entsetzt.
    »Was das ist?«, hörte sie Henri hinter sich. »Schau genau hin.«
    »Warum schließt du ihm nicht endlich die Augen?«, fragte Myriam.
    »Weil ich es nicht kann. Weil ich will, dass jeder, der diesen Raum betritt, ihm erst in die Augen schaut, damit er weiß, worum es geht.«
    Myriam trat einen Schritt näher und erkannte das Unbegreifliche, das Henri, Ron und alle Kollegen, die wahrlich an den schlimmsten Anblick von Leichen gewöhnt waren, in diesen Zustand der Lähmung versetzt hatte.
    Jemand hatte dem Toten den Mund zugenäht. Grobe unbeholfene Stiche. Ein Zickzack-Muster mit einem schwarzen dicken Faden durch die Lippen gezogen. Ein grotesker Anblick. Eine grausame Vorstellung: Jemand hatte das mit eigenen Händen getan, mit einer spitzen Nadel die Lippen durchstochen und Stich für Stich diesen Mund vernäht, als handelte es sich dabei lediglich um ein Stück Leder.
    »O Gott!«
    »Weißt du auch, was das bedeutet?«
    Myriam wandte sich um. Henning Veit stand vor ihr und schaute sie eindringlich an.
    »Was das bedeutet?« »Der Mund wurde nicht nachträglich zugenäht, sondern noch während der Mann lebte.«
    Sie starrte ihn entsetzt an. »Aber...«
    »Er konnte nicht essen, nicht trinken. Er konnte nicht sprechen. Schon gar nicht um Hilfe rufen. Er musste durch die Nase atmen.«
    Myriams Blick ging zurück zu der grotesken Gestalt, die an der Wand lehnte.
    »Und ahnst du, wer das ist?« Ron trat neben sie.
    »Nein!«
    »Du erkennst ihn wirklich nicht?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Erinnerst du dich an Justin? Justin Brandenburg?«
    Was das bedeutete, wurde Myriam rasend schnell klar: Helena Baarova und Justin Brandenburg. Zwei Tote innerhalb eines Monats. Sie hatten sich gekannt. Sie waren miteinander verbunden. Nicht nur im Leben, sondern auch in der grausamen Art, wie sie gestorben waren.
    Henning Veit hatte recht behalten. Die Signatur war kein Zufall gewesen. Dieser Täter war grausam. Erbarmungslos. Bestialisch. Er bevorzugte ein langsames Sterben, er inszenierte Schmerzen, kannte keine Gnade.
    »Es gibt wieder keine Spuren, die auf einen Kampf zwischen dem Täter und dem Opfer schließen lassen«, erklärte Henri.
    »Aber man kann niemandem den Mund zunähen, ohne dass dieser sich wehrt«, widersprach sie.
    »Er muss ihn betäubt haben«, erklärte Ron.
    »Wer hat die Leiche entdeckt?«
    »Der Hausmeister. Nachdem sich die Nachbarn über den Gestank beschwert haben.«
    »Wie lange liegt er schon hier?«
    »Gut zehn Tage«, erwiderte Henri.
    »Warum hat er die Wohnung nicht verlassen? Keine Hilfe geholt?«, rief sie verwirrt.
    »Warum? Sieh her!«, hörte sie Ron.
    Sie wandte sich um, und erst jetzt bemerkte sie das Gitter an der Wand.
    »Was bedeutet das?«
    »Offenbar ein umfunktionierter Bauzaun. Dieses Zimmer wurde zu einem Käfig, in dem Justin Brandenburg elend zugrunde ging. Er hatte keine Chance zu fliehen.«

Prag, Husovastraße
    Mittwoch, 16. Mai

20
    Filip Cerny setzte sich

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