Die Silberdistel (German Edition)
Dettler! Weilands Worten nach hat Ferdinand das Land von seinem Bruder, dem Kaiser, als Lehen für alle Zeiten bekommen! Das heißt, den kriegen wir wahrscheinlich nicht los, so wie den Ulrich«, bemerkte Jerg, froh darüber, einmal etwas besser zu wissen als der sonst so schlaue Dettler.
An Dettlers Stelle antwortete Stefan: »Wenn der seinem Stallmeister hinterrücks ein Messer in den Rücken stößt und freie Reichsstädte überfällt, dann wird auch er vom Württembergischen Bund davongejagt. Mach dir da mal keine Sorge, hahaha!«
Die anderen fielen befreit in das Gelächter ein.
Cornelius, der bisher stur geradeaus geblickt hatte, drehte sich nun um.
»Könnt ihr drei auch noch von was anderem reden? Wie alte Waschweiber zerrt ihr immer wieder die gleichen alten Geschichten hervor und kaut sie durch. Ich frage euch: Was geht’s uns an, wer dort in Stuttgart im Schloß sitzt? Was für einen Unterschied macht es für uns, ob der nun Ulrich, Karl oder Ferdinand heißt? Unsere Arbeit ist es, den Acker zu bestellen und sonst gar nichts. Habt ihr das immer noch nicht kapiert?«
Die drei anderen schauten sich an und verzogen dabei ihre Gesichter. Als keiner ihm antwortete, fuhr Cornelius mit seiner Litanei fort:
»Wir sind schließlich keine Höflinge, und Amtsmänner sind wir auch nicht. Was geht’s uns also an, wie die da oben das Land regieren? Die werden schon wissen, was gut und was recht ist. Ich sage immer: Schuster, bleib bei deinen Leisten und …«
»Ist schon recht, Cornelius«, fiel Jerg ihm ins Wort. »Daß du mit unserer Sache nichts am Hut hast, wissen wir.«
»Unsere Sache, wenn ich das schon höre! Reden schwingen – das könnt ihr, und sonst nichts. Die ganzen letzten zwei Jahre habt ihr nichts anderes gemacht, als Reden zu schwingen. Und was der Arme Konrad damals zustande gebracht hat, davon will ich besser gar nicht reden. Statt ordentlich der Arbeit nachzugehen, tut ihr …«
»Cornelius, komm her! Mir ist’s nicht wohl«, rief Lene, woraufhin Cornelius mitten im Satz abbrach, um nach seinem hochschwangeren Weib zu schauen.
Jerg blickte seinem Bruder wütend nach. Über seinem Auge zuckte es heftig. So schwer es ihm auch fiel: Cornelius hatte recht, das mußte er zugeben. Seit Dettler, Stefan und er vor zwei Jahren zurückgekehrt waren, hatten sie wirklich nichts anderes getan, als hin-und herzureden wie alte Waschweiber. Doch welche Möglichkeiten gab es denn auch? Einen neuen Aufruhr? Den wollten sie so kurz nach ihrer Rückkehr nicht riskieren, obwohl es weiß Gott genügend Gründe dafür gegeben hätte. Doch irgendwie scheuten sie sich davor, das Schicksal neuerlich herauszufordern.
Jerg schaute sich um. Für einen Augenblick trafen sich sein und Margas Blick. Er zwinkerte ihr zu. In den Jahren seiner Abwesenheit hatte sich Marga verändert, obwohl Jerg nicht genau sagen konnte, was denn nun so anders war. Ihr Äußeres war es nicht: Sie hatte immer noch die gleichen, goldblonden Haare, die sie in zwei dicken, geflochtenen Zöpfen trug. Im Gegensatz zu Lene, die wie eine alte Frau daherkam, erschien Marga mit ihren roten Wangen und den dunkelblauen Augen noch immer wie ein junges Ding. Nun,ging es Jerg durch den Kopf, sie hatte ja auch noch keine Kinder gebären müssen wie die anderen Frauen, was ihm sofort wieder einen kleinen Stich versetzte.
Er zwang sich, an etwas anderes zu denken. Cornelius hatte unrecht, wenn er sagte, es gehe die Bauern nichts an, wer im Stuttgarter Schloß regierte. Es ging sie sehr wohl etwas an! Solange er zurückdenken konnte, hatten die in Stuttgart immer nur Unheil über seine Familie gebracht. Was jetzt wohl mit Ferdinand auf sie zukommen würde? Er seufzte. Manchmal hatte er das Gefühl, als säßen sie alle in einem riesengroßen, führerlosen Schlitten, der in einem nicht enden wollenden Winter über eisige Flächen dahinraste, wobei niemand wußte, was ihn hinter der nächsten Kurve erwartete.
»Sie kommen! Da! Da sind die ersten …«
»Sie kommen!«
»Da kommt der Herzog!«
Auf einmal war Bewegung in die Menschen geraten. Die lange Warterei schien endlich ein Ende zu haben. Tatsächlich konnte man von weitem die ersten Gestalten des langen Zuges erkennen, der sich unter viel Getöse seinen Weg in Richtung Rathaus bahnte. Angeführt wurde der Zug von Hunderten von Jünglingen und Jungfrauen, die aus dem ganzen Land zusammengerufen worden waren. Allesamt hatten sie geflochtene Blütenkränzlein in den Haaren, wobei es den Buben
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