Die Silberdistel (German Edition)
anzusehen war, daß sie sich unter diesem Schmuck recht unwohl fühlten. Die Jungfrauen dagegen schwenkten Rosenkränze hin und her und lächelten den staunenden Zuschauern freudig zu. Als nächstes kamen die reichsten Bürger Kirchheims, ebenfalls mit einer seltsam anmutenden Kluft am Leib: Über seidenen, geschlitzten Hosen trugen sie seidene Wämslein, und in den Händen schwenkten sie Fahnen, auf denen die Wappen Österreichs und Württembergs zu sehen waren. Im Gegensatz zu soviel Farbenpracht bildeten die nun folgenden Mönche vom Kloster Weil, allen voran Abt Richard, einen eintönigen Hintergrund,obwohldie dunkellilafarbenen Kutten und die goldenen Rocksäume dennoch einen Blick wert waren. Begleitet wurde diese Prozession von Trommlern und Trompetern, die neben ihren Instrumenten auch noch Fähnlein trugen. Kaum waren die Vordersten des Zuges beim Rathaus angelangt, begannen sie damit, sich in einem Spalier aufzustellen, dessen Ende in den Bogen des Rathaustores mündete. Vor dem Rathaus stand Jörg Gabler, der Kirchheimer Vogt, das Gesicht vor Aufregung voller roter Pusteln. Daß Kirchheim für einen so wichtigen Anlaß wie Ferdinands Huldigung ausgesucht worden war, zeugte in seinen Augen von der großen Bedeutung der Stadt. Daß diese Huldigungen auch in anderen Städten durchgeführt wurden, erschien ihm dabei von geringerer Wichtigkeit.
Und dann war es soweit: Nachdem die herzöglichen Reiter, fünfzig an der Zahl und alle rot-gelb gewandet, sich ihren Weg durch das menschliche Spalier gebahnt hatten, erschien Erzherzog Ferdinand.
»Wie ein Engel! Der Herrgott hat uns einen Engel geschickt!«
»Gütiger Vater!«
»Dieser Glanz! Wie ein Heiligenschein!«
Auf einmal konnten die Menschen nur noch ehrfürchtig flüstern. Als sei der Heiland selbst erschienen, versuchten sie – soweit dies in dem allgegenwärtigen Gedränge möglich war – einen noch breiteren Durchgang für den neuen Landesvater zu schaffen. Selbst der Kirchheimer Vogt stand angesichts des prächtigen Spektakels mit geöffnetem Mund sprachlos da: Man konnte es kaum glauben, aber Ferdinands Roß war noch um ein Vielfaches prächtiger als die Rösser der vorangerittenen Reiter. Schneeweiß, mit einer Brust, die der eines Bullen glich, und einer seidig-weißen Mähne, die ihm über die stolze Stirn hinab bis zu den Beinen reichte, schritt das edle Tier voran, als ob es sich seiner mächtigen Last bewußt wäre. Seine schwere, silberfarbene Rüstung glänztemit der seines Reiters in der morgendlichen Sonne um die Wette. In einer gleißendhellen Wolke machten die beiden vor dem Kirchheimer Rathaus halt.
»Alleruntertänigsten Dank für die allergnädigste Heimsuchung und treugehorsamste Bitte, das Land nie mehr zu verlassen, verehrter Erzherzog Ferdinand: Kirchheim und seine Bürger heißen euch untertänigst und demütig willkommen!«
Auf Knien erwies der Kirchheimer Vogt seinem zukünftigen Herrscher die Reverenz. Die Augen starr auf die schwarzen, glänzend polierten Lederstiefel Ferdinands gerichtet, wartete er auf dessen Erwiderung. Diesen Augenblick hatte er sein Leben lang herbeigesehnt. Daß ein bedeutender Herrscher ›seinem‹ Kirchheim, wie er es im Geiste nannte, einen Besuch abstatten und dabei für Stadt und Bürger nur lobende Worte finden würde. Immer und immer wieder hatte er dieses Bild vor Augen gesehen – des Nachts, wenn er nicht schlafen konnte. Hatte die freudigen Worte gehört, die von allen Seiten auf ihn prasseln würden wie ein warmer Frühlingsregen. Hatte den Glanz und Pomp gesehen, der Kirchheim von nun an für alle Zeiten wie ein goldener Mantel umhüllen würde. Heute schien sein Traum Wirklichkeit zu werden.
Als Ferdinand zu sprechen begann, glaubte er daher, seinen Ohren nicht zu trauen:
»Schon gut, schon gut. Nun steht auf und laßt uns hineingehen! Oder soll ich den Rest meines Lebens unter schwäbischen Bauern verbringen?«
Nachdem sich die Huldigungsfeierlichkeiten unerwartet schnell in Luft aufgelöst hatten, waren die Brauns wie alle anderen wieder nach Hause marschiert.
»Habt ihr gesehen, wie seine Rüstung im Schein der Sonne geglänzt hat?« Reglos vor Verzückung stand Lene am Feuer, während der Eintopf vor ihr dicke Blasen schlug. »So etwas Feines nur ein einziges Mal im Leben berühren zu dürfen … was gäbe ich darum!«
»Pfhh, du könntest dein Leben geben und dennoch dürftest du nicht einmal die Stiefel unseres hochverehrten Herzogs lecken!« brach es wütend aus Jerg
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