Die Silberdistel (German Edition)
eingestehen. Warum mußte aber auch jedes Gespräch zwischen den zwei Brüdern in einem Streit enden? Sagte Jerg »hüh«, wußte er, daß Cornelius »hott« sagen würde. Da verstand er sich selbst mit dem Pfaffen besser! Wollte seinen Ideen zu Hause niemand ein Ohr schenken – Weiland hörte ihm zu. Und mutig war er obendrein! Margas Erzählungen zufolge hatten Weilands Predigten schon kurz nach der Niederschlagung des Armen Konrad an Schärfe zugenommen. Auch heute noch scheute sich Weiland nicht, während seiner sonntäglichen Predigten das Kind beim Namen zu nennen, wenn er dies für angebracht hielt. Selbst gegen die Zinsfreiheit von Kloster Weil hatte er an einem der letzten Sonntage gewettert, während die Kirchgänger ängstlich den Atem anhielten. Man stelle sich das einmal vor! Und was machten die alten Kameraden vom Armen Konrad? Nichts als Reden schwingen!
»Und wenn ich’s euch sage! Es ist wahr! Außer diesem Luther gibt es noch einen, der das ›Himmelreich auf Erden‹ predigt! Müntzer heißt der, und wie ich gehört habe, soll der nächste Woche in Ulm reden!« Weilands Stimme zitterte fast vor Aufregung.
»Und wie kommt ihr auf diesen Müntzer? Was hat der mit uns zu tun?«
»Hast wieder deine Gedanken nicht beieinander gehabt, was, Jerg Braun? Nun, für dich will ich meinen letzten Satz wiederholen.« Weilands Stimme nahm den geduldigen Ton an, den er sonst nur für die Ältesten und Tauben im Dorf reserviert hatte. Dettler und Stefan lachten, während Cornelius ganz in seine Schnitzarbeit vertieft zu sein schien.
»Von Luther, dem Augustinermönch, habe ich euch doch schon berichtet, nicht wahr?« Ungeduldig nickte Jerg mit dem Kopf. Was ging ihn ein Mönch aus dem hohen Norden an, auch wenn er noch so aufrührerische Reden schwang? Er wollte trotzdem erfahren, was Weiland zu berichten hatte. Dessen wenn auch spärliche Korrespondenz mit befreundeten Mönchen, die in der Ferne lebten, war eine wertvolle Quelle an Neuigkeiten, die wiederum Weiland in Ermangelung anderer Gesprächspartner nur allzugerne in ihrem Beisein sprudeln ließ.
»So, und nun scheint es noch einen Kirchenmann zu geben, der genau wie Luther dafür eintritt, den Ablaßhandel abzuschaffen. Sein Name ist Thomas Müntzer, und auch er stammt irgendwo aus dem Norden. Aber was jetzt kommt, werdet ihr mir nicht glauben: Geht doch dieser Müntzer in seinen Forderungen an die Kirche noch viel weiter als Luther! Den er übrigens als ›geistloses, sanftlebendes Fleisch aus Wittenberg‹ bezeichnet.«
»Solche Reden tut einer schwingen und wird nicht dafür hingerichtet? Das gibt’s doch nicht«, mischte sich nun auch Cornelius ein, der trotz seines gleichgültigen Getues mit einem Ohr zugehört haben mußte.
»Unglaublich, nicht wahr?« entgegnete Weiland. »Und die Leut’ hören’s gern! Wohin er auch kommt – überall wird er von Scharen von Menschen gefeiert.«
»Den könnten wir hier in Taben gebrauchen! Wo’s immer mehr bergab geht mit den Leuten. Wohin man schaut, überall ist der Hunger zu Haus! Die Marianne zum Beispiel … Wenn der Stefan ihr nicht regelmäßig mit einem Korb Rübenaushelfen tät’, wäre die schon lange verhungert«, meinte Marga, die dem Gespräch der Männer aufmerksam folgte.
»Pah, die Marianne, die ist doch selber schuld an ihrem Elend!« fiel Lene ein. »Hätt’ sie halt wieder heiraten sollen. Eine Frau allein – das geht nun einmal nicht gut!«
»Es ist aber nicht nur die Marianne, der es schlecht geht! Asa sagt, egal in welches Haus sie kommt – nirgendwo haben die Menschen genügend zu essen. Die schlechte Ernte im letzten Herbst, dazu die hohen Abgaben – da ist nach dem ewiglangen Winter nicht viel übriggeblieben. Du weißt doch selbst, daß das Feld außer ein paar frühen Möhren noch nichts hergibt!«
»Asa, Asa, was die auch immer …«
Irritiert blickte Dettler von einem Weib zum anderen. Daß sich diese in wichtige Gespräche einmischten, mochte er gar nicht leiden, wenn er auch im stillen Marga recht geben mußte. Er wandte sich wieder an Weiland:
»Und dieser Müntzer predigt in Ulm, sagt ihr?«
Weiland nickte.
»Ulm, Ulm – das ist doch gar nicht so weit von Taben entfernt, oder?« fragte Dettler.
»Zwei, drei Tagesmärsche werden es schon sein. Wenn man allerdings von einem Pferdewagen mitgenommen wird …« Dettler und Jerg schauten sich verstohlen an.
»Wie kommt dieser Pfaffe eigentlich hierher? Warum sitzt er nicht wie die anderen auch in einem schönen
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