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Die Silberdistel (German Edition)

Die Silberdistel (German Edition)

Titel: Die Silberdistel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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deren Dienstmägde, die unter dem einen Arm eine Henne und unter dem anderen einen Bund Rüben trugen. Nach wenigen Schritten hielten die beiden Männer inne. Mit glänzenden Augen schaute Dettler sich um. Als handle es sich um ein Lebenselixier, atmete er ausgiebig die Gerüche der Stadt ein.
    »Du meine Güte! Wie sollen wir in diesem Hexenkessel jemals herausfinden, ob dieser Müntzer überhaupt in der Stadt ist?« Einigermaßen beunruhigt biß sich Jerg auf die Lippen. Wieder verspürte er das gleiche flaue Gefühl im Bauch wie damals, als er mit seinen Männern nach Untertürkheim gereist war.
    »Immer mit der Ruhe, bester Freund.« Im Gegensatz zu Jerg schien Dettler im Getümmel der Stadt aufzublühen wie eine Blüte im Morgentau. Er schlug vor, sich zuerst ein wenig in einer Weinschenke umzuhören und es sich gutgehen zu lassen. Irgendwann würden sie diesem Müntzer schon auf die Spur kommen.
    Nachdem sich die beiden Freunde zwei Tage damit um dieOhren geschlagen hatten, ein Wirtshaus nach dem anderen aufzusuchen, dem Treiben der Gaukler und Musikanten auf der Straße zuzuschauen oder nur auf einer Wiese etwas außerhalb der Stadtmauern herumzuliegen, war es am Donnerstag soweit: Dann, so hieß es, wolle Thomas Müntzer auf dem Marktplatz predigen. Mehr wußte niemand, und so blieb Jerg und Dettler nichts anderes übrig, als auf dem Marktplatz auszuharren.
    »Verflucht noch mal, der läßt sich ja noch länger bitten als unser neuer Herzog! Hoffentlich ist’s die Mühe wert …« Mit bangem Unwohlsein dachte Jerg daran, daß er nun schon seit fast einer Woche von zu Hause weg war. An das Donnerwetter, das ihn daheim erwartete, wollte er lieber gar nicht denken!
    »Tja, es ist halt so eine Sache mit dem Hörensagen! Wir können von Glück reden, daß Weilands Freund recht hatte und der Müntzer überhaupt in Ulm ist. Was macht es da schon aus, ob wir zwei oder drei Tage hier verweilen? Oder verpaßt der Herr etwas in Taben?« Genüßlich lehnte Dettler sich zurück. »Hier läßt es sich doch aushalten, meinst du nicht?« Da sie zu den ersten gehörten, die sich auf dem Marktplatz eingefunden hatten, war es ein Leichtes gewesen, einen schönen Schattenplatz unter der großen Linde zu finden, von der nicht weit entfernt ein grobgezimmertes Holzpodest aufgestellt worden war. Hier, so vermuteten die Männer, würde Müntzer seine Rede halten.
    »Du hast leicht reden! Du hast ja auch kein Weib und keine Familie in Taben sitzen!« antwortete Jerg gereizt. Dettlers große Sprüche begannen ihn allmählich zu ärgern, und die Aussicht auf einen weiteren Sprücheklopfer fand er lange nicht mehr so erbaulich wie vor einer Woche. Er lehnte sich gegen den dicken Stamm der Linde und schloß die Augen, um ein Schläfchen zu machen.
    Gegen Mittag war der Marktplatz derart mit Menschen überfüllt, daß nicht einmal mehr eine Maus einen Platzgefunden hätte. Männer und Frauen jeden Alters hatten sich eingefunden, um Müntzer zu hören. Nur fehlte von dem immer noch jede Spur.
    Jerg versetzte Dettler, der ebenfalls eingenickt war, einen Stoß in die Rippen. »Ob wir hier richtig sind? Schau dich mal um, Dettler. Solche Gestalten waren ja nicht einmal in den wüstesten Schankstuben zu finden!«
    Vorsichtshalber zog Jerg sein Bündel näher an sich heran. Die meisten Burschen ringsum und auch deren Weiber hätte er ohne weiteres der Sackgreiferei bezichtigt. Wohin er auch blickte, eine Gestalt war zerlumpter und ärmlicher als die andere. An manchen Leibern hingen nur noch ein paar wenige Stoffetzen, Schuhe besaß so gut wie keiner der Anwesenden, dafür offene, eitrige Beulen an den Beinen. Die meisten bestanden nur noch aus Haut und Knochen und sahen so aus, als hätten sie schon seit Tagen nichts mehr gegessen. Jerg blickte in Greisenaugen und wußte doch, daß es sich bei den ausgemergelten Menschlein um Kinder handelte. Vielen fehlten ein paar Finger, eine ganze Hand oder ein Stück Nase – Zeichen dafür, daß es sich um Räuber und Aussätzige handelte, die erwischt und gemarkt worden waren. Beim Armen Konrad waren zwar auch wüste Burschen und wilde Gestalten darunter gewesen – aber gegen diese Kreaturen hier wären sie nicht angekommen.
    »Schau dich nur um, lieber Jerg! Hast wohl gedacht, wenn wir in Taben einmal hungrig schlafen gehen, dann ist das die wahre Armut.« Doch angesichts des Elends um sie herum hielt selbst Dettlers Ironie nicht lange an. Er seufzte. »Es ist eine grausame Zeit, in der wir leben,

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