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Die Silberdistel (German Edition)

Die Silberdistel (German Edition)

Titel: Die Silberdistel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Jerg. Mag die Bedürftigkeit auf dem Lande auch noch so groß sein, die Not in den Städten ist um ein Vielfaches größer. Doch ist dies nichts, wovor du Abscheu und Ekel empfinden solltest. Erbarmen und Mitleid haben diese armen Kreaturen verdient.«
    »Es ist nur … ich wußte gar nicht, wie schlecht es auch hier um viele Menschen bestellt ist. Ich dachte, seit wir den Ulrichlos sind, hätte sich doch einiges zum besseren gewandt. Aber das war wohl ein Trugschluß.« Jergs Lachen klang bitter. »So, wie es scheint, hat sich das Leichentuch bald über das ganze Land gebreitet, lediglich Taben lugt noch unter einem Zipfel hervor.«
    »Nun, ganz so schlimm ist es nicht. Nicht überall ist die Armut so groß wie hier. Vielleicht ist sie in dieser prächtigen Stadt nur besonders spürbar, weil zwischen den vielen Armen und den wenigen Reichen ein so gewaltiger Graben klafft! Aber wenn sich nicht bald etwas tut, wird es auch auf dem Lande nicht viel besser aussehen. Ich sag’s dir hier und jetzt: Ausbluten wird er uns, der neue Herzog. Wie seine Vorgänger wird auch er nicht von der Landbevölkerung ablassen, bis der letzte Tropfen Blut aus ihr herausgepreßt worden ist. Oder glaubst du, sein Prunk und Protz zahlen sich von alleine?«
    Jetzt kam plötzlich Unruhe in das zerlumpte Volk: Ein Mann von kleiner Statur stieg auf die Rednerbühne. Jeder seiner Schritte wurde lauthals bejubelt. Über dunkelbraunen Hosen und Wams trug er eine Weste aus Schafspelz, auf dem Kopf eine Mütze, ebenfalls aus Schafspelz. Seine Wangen waren eingefallen, und seine Gesichtshaut wirkte so fahl wie die der meisten Menschen, die sich hier versammelt hatten. Zwei tiefe Furchen auf beiden Seiten des Kinns verliehen ihm einen grimmigen Gesichtsausdruck, den ebenfalls viele seiner Zuhörer mit ihm gemein hatten. Was ihn jedoch unterschied, waren seine Augen: Diese hatten die Schärfe eines Wetzmessers, die Bestimmtheit eines Heiligen und die Härte eines Edelsteins. Das sollte Müntzer sein? Dieser zierliche, fast gebrechlich wirkende Mann da vorne auf der hölzernen Tribüne? Der wollte den Leuten vom Seelenheil verkünden? Jerg war mehr als gespannt darauf, was der Mann zu sagen hatte.
    »… ich frage euch, ihr braven Bürger von Ulm: Was ist das für eine Kirche, die ihre Kinder hungern und dursten läßt?Die Kinder haben gebeten ums Brot. Es ist niemand dagewesen, der’s ihnen hätte gebrochen. Dafür wurden dem armen, armen Völklein Sätze aus der Bibel vorgeworfen, wie man den Hunden das Brot pfleget vorzuwerfen. Ach Zeter, Zeter, wehe, weh, über die höllischen und dämonenbesessenen Pfaffen, die das Volk offenbar verführen!«
    Jerg preßte einen Schwall Luft aus seinen Lungen. Erst jetzt bemerkte er, daß er während Müntzers letzter Worte den Atem angehalten hatte. Dieser Mut! Diese Wortgewandtheit! Diese Wahrheit!
    Ein Blick hinüber zu Dettler verriet ihm, daß dieser genauso gefesselt war wie Jerg selbst. Schon holte der Mann auf der Bühne zum nächsten Schlag aus. Mit weit ausholender Handbewegung lockte er die Menschen näher zu sich heran.
    »Darum spreche ich zu euch: Die ewige Seligkeit kann nicht die Verheißung für unser armseliges Dasein bedeuten, denn auf sie treffen wir erst im zukünftigen Vaterland. Doch hier sind wir unserer Seligkeit nicht sicher. Hier, in unserem jetzigen Leben heißt es, das Himmelreich auf Erden zu errichten.«
    Die Menschenmenge tobte. Jede noch so ausgemergelte, ausgehungerte Gestalt klatschte in die Hände, schrie oder eiferte dem Redner zu. Was Müntzer zu sagen hatte, war Balsam für die wunden Seelen und Leiber zugleich.
    »Und wie sieht dieses Himmelreich auf Erden aus, du ach so schlauer Pfaffe? Vielleicht gibt es das genausowenig wie das Himmelreich selbst?« tönte es plötzlich neben Jerg. Dettlers Stimme durchschnitt die frenetischen Jubelrufe der Menschen wie ein scharfer Degen. Schließlich war auch er ein geübter Redner, und wenn er etwas zu sagen hatte, dann konnte man gewiß sein, daß dies auch im lautesten Trubel nicht unterging.
    Unwirsch schauten sich die Menschen um. Wer wagte es, eine solche Predigt anzuzweifeln? Wer hatte das Bedürfnis, dies zu tun?Gespannt blickte Jerg nach vorne. Wie würde Müntzer auf Dettlers Angriff reagieren?
    Der Prediger schien jedoch Zwischenrufe solcher Art gewohnt zu sein. Wahrscheinlich gab es bei jeder Versammlung den einen oder anderen, der sich nicht so einfach abspeisen ließ. Einen, der es genauer wissen wollte. Müntzers Augen

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