Die Silberdistel (German Edition)
spüren bekommen hatte. Als Jerg endlich seinen Blick von der gefährlich aussehenden Furie losreißen konnte, suchte er hektisch nach einem Fluchtweg – ohne Erfolg. Doch dann erschien ihre Rettung: Schlaftrunken und älter, als Jerg ihn in Erinnerung hatte, stand Bantelhans im Türrahmen. Mit einem Satz war er bei seinem Weib, neben dessen massigem Leib sein eigener schmächtig und eingefallen wirkte.
»Ein paar Diebe haben wir da, Bantel.« Keinen Moment wandte die Bantelhansin ihren grimmigen Blick von den drei Männern ab. Dann herrschte sie den alten Soldaten an: »Geh und hol den Büttel, auf daß er sie einsperrt, die elendigen Lumpen.«
Ohne ein Wort der Widerrede wollte Bantelhans sich auf den Weg machen.
Dettler räusperte sich.
Fragend blickte Jerg zu ihm hinüber, dann wandte er sich eilig an den ehemaligen Anführer des Armen Konrad , bevor dieser durch die Tür verschwinden konnte.
»Bantelhans! Erkennst du einen alten Kameraden nicht mehr?« fragte er betont fröhlich. »Ich bin’s, Jerg Braun aus Taben. Und das sind der Stefan und der Dettler.« Sein offener, argloser Blick glich dem eines Welpen, der vertrauensvoll seiner Mutter nachtrottete.
Mißtrauisch blickte Bantelhans von einem zum anderen. »Was wollt ihr?« Er bemühte sich, die aufsteigende Angst zu unterdrücken. Daß Jerg und die anderen nicht gekommen waren, um über alte Zeiten zu reden, war ihm klar. Noch dazu, wo er in ihren Augen als Verräter dastehen mußte … Aberwie, und vor allem wann, hätte er seinen alten Kameraden seine damalige Haltung je erklären können?
»Nun, wir dachten, wir statten dir einen Besuch ab, der alten Zeiten wegen …«
Unbemerkt zückte Dettler ein gekrümmtes Messer. Blitzschnell machte er einen Satz auf Bantelhans zu und packte dessen rechten Arm. Bantelhans schrie vor Schmerz laut auf.
»So, und jetzt ist Schluß mit dem Spiel.« Mit dem Messer an Bantelhans’ Kehle wandte er sich an dessen Weib.
Nicht zum ersten Male erschrak Jerg darüber, wie schnell hinter der gelehrten Fassade seines Freundes auch eine ganz andere, eine gewalttätige Seite zum Vorschein kommen konnte.
»Paß auf, du häßliches Weib! Wenn du nicht genau tust, was ich dir sage, kannst du für den Verräter hier noch heut’ nacht eine Grube graben!« Ganz langsam verstärkte er den Druck des Messers auf Bantelhans’ Hals. Unter der silbrigen Klinge quollen ein paar dicke Blutstropfen hervor, was die Bantelhansin vor Schreck aufschreien ließ.
»Wo ist die Fahne des Armen Konrad? Sprich!«
Danach ging alles sehr schnell. Während die beiden anderen mit der völlig aufgelösten Frau auf dem Treppenabsatz zurückblieben, stieg Dettler mit Bantelhans eine weitere Treppe hinauf, die Klinge stets an dessen Hals haltend. Als sie endlich zurückkamen, trug Bantelhans ein unscheinbares, dickes Bündel Stoff in der Hand.
»Die Fahne!« Andächtig griff Jerg danach.
»Die Fahne«, sagte auch Bantelhans, der aus seiner Angststarre wieder erwacht zu sein schien. »Ein Stück Stoff, mehr nicht.«
»Für dich vielleicht, du Verräter! Ich frage dich: Wo warst du, als Herzog Ulrich unsere Kameraden abgemetzelt hat? Als wir unsere Haut nur durch die Flucht retten konnten? Wo war Bantelhans da? Wir hatten niemanden, unter dessenobervögtischem Rock wir uns hätten verstecken können!« entgegnete Jerg ihm haßerfüllt.
»Ich wußte, daß du mir das vorwerfen würdest. Es war aber alles ganz anders damals. Ich …«
Doch Jerg fuhr ihm grob über den Mund. Er baute sich vor dem alten Soldaten auf und nahm dessen Gesicht in beide Hände.
»Schau uns genau an, Bantelhans«, sagte er mit bedrohlicher Stimme. »Was du heute siehst, ist für deinesgleichen wahrscheinlich ein seltener Anblick. Vor dir stehen Männer, die mehr Rückgrat haben als du. Die für die Gerechtigkeit stehen – und wenn es sie das eigene Leben kostet. Ihr jedoch …«, er drehte sich zur Bantelhänsin um und kniff ihr grob in den fetten Wanst, »freßt den armen Leuten die Speise weg, bis ihr aufgequollen seid wie schlachtreife Schweine.« Mit fiebrigem Blick packte er das weiße Gewand der Frau und riß es entzwei. »Ihr kleidet euch wie Könige, während nebenan die Mütter für ihre Kinder nur Lumpen haben, worin sie dennoch erfrieren.« Stumm schauten Dettler und Stefan zu, wie Jerg zum Fenster ging und an dessen schweren Beschlägen rüttelte. »Ihr verschanzt euch in eurem warmen Schloß, während die Hälfte der Leute nicht einmal ein Dach über dem
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