Die Silberdistel (German Edition)
Kopf hat.« Mit dem aufgestauten Haß der letzten zehn Jahre in seiner Stimme endete er schließlich: »Und du nennst dich Bürgermeister.« Mit drei Schritten trat er so nahe an Bantelhans heran, daß ihre Gesichter nur noch eine Handbreit voneinander entfernt waren. »Du ekelst mich an. Deinesgleichen verdient es nicht, zu leben wie ein Fürst. Deinesgleichen verdient es im Grunde genommen gar nicht, zu leben …«
6.
»Ich weiß nicht, wo sie stecken könnten!« Ratlos schlug Marga die Hände zusammen.
Vor ihr saß Michel, Stefans Schwager aus Beutelsbach. Abgehetzt und müde war er am frühen Abend in Taben angekommen, und als er das Haus seines Schwagers leer und verlassen vorgefunden hatte, war sein erster Weg der ins Nachbarhaus gewesen. Mittlerweile war es tiefe Nacht, und von den drei Männern fehlte immer noch jede Spur.
»Vielleicht sind sie schon über alle Berge … Wär’ wahrscheinlich das beste, denn wenn sie zurückkommen, sind sie ihres Lebens nicht mehr sicher, soviel steht fest! Nicht einmal verabschieden hat er sich können …« Mutlos weinte Marga leise vor sich hin.
Michel schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich kenne den Stefan. Und den Jerg auch. Wegen so etwas flüchten die nicht gleich in die Schweiz. Da müßte schon die ganze herzögliche Armee hinter ihnen her sein. Und so, wie ihr erzählt habt, ist es doch nur die halbe.« Galgenhumor ließ ihn kurz auflachen, dann wurde er sofort wieder ernst. »Denkt doch noch einmal nach: Es muß doch irgendeinen Unterschlupf geben!«
»Wieso ist es eigentlich so wichtig, daß du Stefan sofort findest?« mischte sich Cornelius ein. Irgendwie erschien ihm Michels Beharrlichkeit etwas sonderbar. Soviel er wußte, hatten die beiden Männer nicht mehr viel gemeinsam. Nachdem Michels Schwester nach nur wenigen Jahren an Stefans Seite der Pest zum Opfer gefallen war, waren die Besuche aus Beutelsbach selten geworden. Wer hatte dazu auch Zeit? Warum also wollte Michel den Stefan gerade jetzt sehen? War er vielleicht von der Obrigkeit als Lockvogel eingesetzt worden, um die Männer zu fangen? Cornelius dankte seinem Herrgott dafür, daß der Kardinal schon kurze Zeit später in einem dünnen Unterkleid und mit verbundenen Augenaufgefunden worden war. Wenigstens war sein Bruder nicht zum Mörder geworden!
Für einen langen Augenblick schaute Michel sein Gegenüber an, dann antwortete er gedehnt: »Passiert ist schon was. Aber ob du davon wissen willst …«
»Was soll das heißen?«
»Nun, es ist doch wohl bekannt, daß Cornelius Braun mit den Gedanken seines Bruders nicht viel im Sinn hat!« Herausfordernd blickte Michel ihn an.
Cornelius lachte kurz auf. »Daher weht der Wind! Du gehörst auch zu den Weltverbesserern!« Er schüttelte den Kopf. »Hätt’ ich mir denken können, doch heute weiß man ja nicht mehr, wer Freund und wer Feind ist.« Er bedachte seinen Gast mit einem kameradschaftlichen Schlag auf die Schulter.
Irritiert blickte Michel auf. Solche Töne hätte er von Cornelius nicht erwartet. Bei früheren Zusammenkünften hatte sich Jerg mehr als einmal über das Unverständnis seines Bruders ausgelassen, für den jedes Unternehmen des Armen Konrad nur ein böser Bubenstreich war. Mit einem solchen Mann unter einem Dach zu wohnen stellte sich Michel nicht gerade einfach vor. In einem mußte er Cornelius jedoch recht geben: Heute wußte man wirklich nicht mehr, wer Freund und wer Feind war!
Auf einmal fuhr Marga neben ihm in die Höhe. »Ich hab’s!« Sie schaute in die Runde. »Ich weiß, wo die drei sich verstecken könnten.«
Mit großen Augen blickten die Männer sie an.
Einen Moment lang zögerte Marga noch, ihr Geheimnis preiszugeben und dadurch womöglich Jerg und die anderen in Gefahr zu bringen. Doch dann beschloß sie, Cornelius und Michel zu vertrauen. Was blieb ihr schließlich anderes übrig?
»Es gibt da auf der Alb eine kleine Hütte«, fing sie an. »Während meiner Zeit bei Asa bin ich öfters dort oben gewesen und habe Kräuter für die Heilerin gesammelt.« Das entsprach natürlich nicht ganz der Wahrheit, und Marga wurdees bei dem Gedanken, was sie tatsächlich in der Einsamkeit auf der Alb erlebt hatte, ganz heiß.
Ungeduldig nickten die Männer ihr zu. Margas plötzliche Gesichtsröte schienen sie lediglich ihrer Aufregung zuzuschreiben. »Ja, und weiter?«
»Sie liegt etwas abseits der breiten Wege in einem kleinen Birkenwäldchen versteckt. Einmal wurde ich von einem Gewitter überrascht und habe mich
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