Die Silberdistel (German Edition)
niemandem mehr von Nutzen.« Mit diesen Worten machte er einen Schritt zur Seite, konnte sich aber eine letzte Bemerkung nicht verkneifen. »Obwohl er seinen Zustand selbst verschuldet hat! Nun, was steht ihr hier noch herum, als hättet ihr eure Zeit gestohlen? Macht, daß ihr nach Hause und auf eure Felder kommt!« Eilig hoben die Männer den Verletzten wieder hoch und wandten sich zum Gehen. Da spürte Jerg eine Hand auf seiner Schulter. Er drehte sich um und blickte in das haßerfüllte Gesicht des Verwalters. So leise, daß es außer Jerg und Cornelius niemand hören konnte, spie dieser ihm entgegen: »Wir sprechen uns noch, das verspreche ich dir, Bürschchen!«
5.
In den nächsten Wochen gingen die Männer ihrer täglichen Arbeit auf dem Feld nach, die im Frühjahr darin bestand, den Acker für die kommende Aussaat vorzubereiten. In den meisten Häusern und Hütten waren die Frauen mit dem Frühjahrsputz beschäftigt, welcher nach den langen Wintermonaten dringend nötig war! Auch Lene und Marga taten alles, um den alten Mief und Dreck aus ihren vier Wänden zu bekommen, was sich allerdings jedes Jahraufs neue als ein beinahe unmögliches Unterfangen herausstellte. In einem Raum, in dem vier Erwachsene und drei Kinder Tag für Tag zusammen mit dem Vieh hausten, wo gekocht und geschlafen wurde, das gesamte Hab und Gut untergebracht war und unterm Dach seit dem Herbst das Getreide und Heu, teilweise noch feucht, eingelagert war, wie konnte da etwas Ähnliches wie Ordnung und Sauberkeit herrschen!
Gekocht wurde, wie in den meisten Haushalten, über dem offenen Feuer. Einen Kamin oder Rauchabzug gab es nur in den Küchen der Herrenhäuser, nicht jedoch bei einfachen Leuten. Wie jedes Frühjahr mühten sich Lene und Marga zuerst damit ab, die schwarze, dicke Rußschicht von den Wänden zu bekommen. Lene konnte schon nicht mehr mitzählen, wie viele Male sie mit den zwei leeren Eimern zum Brunnen gegangen und mit zwei vollen zurückgekommen war. Obwohl die Arbeit mühselig und langwierig war, hatte sie Lene bisher nie sehr viel ausgemacht, im Gegenteil, insgeheim freute sie sich schon Wochen vorher darauf, bedeutete sie doch, daß nach den düsteren Wintermonaten endlich wieder Tür und Fenster geöffnet werden durften.
Doch dieses Jahr fiel es ihr schwer, etwas Erfreuliches im Frühjahrsputz, geschweige denn irgendwo anders zu entdecken! Jerg! Jerg hier und Jerg da! Immer nur Jerg! Sie konnte den Namen schon nicht mehr hören! Ihre Wut verlieh ihr dabei auch nach Stunden noch die Kraft, die Wurzelbürste mit kräftigen Zügen über die letzte Steinmauer zu scheuern. Mit jedem Bürstenstrich schien ihre Verbitterung noch an Heftigkeit zuzunehmen.
Seit der Jagd vor zwei Wochen schien es kein anderes Thema mehr zu geben als Jergs ›Heldentat‹. Heldentat, pah! Lene konnte darin nichts Heldenhaftes entdecken! Dummheit war’s! Dummheit und Wichtigtuerei, jawohl! Alle hätte der Herzog erschießen können. Alle! Durch Jergs Torheit hätte sie heute schon Witwe sein können! Und wer wäreschuld daran gewesen? Nur Jerg. Von wegen dem Heinrich helfen! Was mußte der auch noch an der Rätsche herumdrehen, wo doch die Jagd schon lange vorbei war? Mit Schaudern dachte sie an Heinrich, der mit peitschenzerfetztem Rücken in seiner Hütte lag – überall offenes Fleisch, Eiterbeulen, und der Gestank – grauenhaft! Und trotzdem, der war doch selber schuld an seinem Unglück! Des Herzogs Roß zu erschrecken!
Sie hielt einen Augenblick lang inne und starrte ins Leere. War es nicht immer so? Jerg stellte etwas an, und alle anderen mußten es ausbaden. Wenn es Cornelius nicht gelungen wäre, den Jost zu beruhigen, wer weiß, was dann noch alles geschehen wäre … Sie stieß einen lauten Schnaufer aus, der Marga, die dabei war, den alten, stinkenden, festgetretenen Erdboden der Hütte mit einem Spaten abzutragen, aufschauen ließ. Später würde man neuen, frischen Torf auffüllen und so wenigstens die erste Zeit Ruhe vor allerlei Kroppzeug wie Flöhen, Schaben und Läusen haben. Ohne Marga zu beachten, gab Lene sich wieder ihren Gedanken hin. Den Burgverwalter gegen sich aufzubringen, das war doch fast genauso schlimm, wie den Herzog zu verärgern! Martin Jost war für seine Hartherzigkeit und Kaltschnäuzigkeit bekannt. Dabei machte es keinen Unterschied, ob er es auf ein besonders gutes Werkzeug, auf ein Stück Ackerland oder auf die Jungfräulichkeit eines jungen Dings abgesehen hatte. Das herzögliche Recht auf die
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