Die Silberdistel (German Edition)
gegenüberstehst! Und jetzt aus dem Weg, ihr Ratten!« Mit diesen Worten wendete er sein Pferd und ritt davon, als ob nichts vorgefallen wäre.
Hätte Ulrich oder einer seiner Begleiter sich die Mühe gemacht, sich umzudrehen und zurückzublicken, hätte er eine Gruppe wie zu Salzsäulen erstarrter Bauern erblickt. Für einen kurzen Augenblick waren die Männer unfähig, auch nur eine Hand zu heben, geschweige denn einen Fuß vor den anderen zu setzen. Erst durch das immer leiser werdende Stöhnen des halbtoten Mannes am Boden wurden die Männer aus ihrer Lähmung geholt. Mit hastig gerissenen Stoffstreifen verbanden sie Heinrichs geschundenen Leib. Als sie versuchten, ihn hochzuheben, wurde er ohnmächtig. Doch für den Fall, daß er dennoch etwas mitbekommen sollte, versuchte Jerg, das eigene Entsetzen über den lebensbedrohlichen Zustand des Verletzten zu verbergen und begann, sanft auf ihn einzusprechen, beruhigende, alltägliche Worte, wie man sie auch einem verletzten Kind zum Trost gesagt hätte. Instinktiv orientierten sich die anderen an seinem Verhalten. Plötzlich aber begann Georg, der dreizehnjährige Sohn von Oskar Klein, lauthals zu heulen: »Ich kann das nicht mehr ertragen! Dieses Schwein! Wie kann ein Mensch nur so böse und niederträchtig sein!« Er schluchzte und bebte am ganzen Körper, bevor er selbst zu Boden ging und wie ein Säugling zusammengekauert liegenblieb. Wieder war es Jerg, der sich um den Hilfebedürftigen kümmerte, auf ihn einredete, bis sich der Junge wieder aufrichtete, sich mit dem Jackenärmel übers Gesicht fuhr und mit versteinerter Miene anpackte, als die Männer Heinrich hochhoben. Schweigend setzte sich die Gruppe in Bewegung.
Der Heimweg war durch den Transport des schwerverletzten Mannes zu einer beschwerlichen, langsamen Angelegenheit geworden. Doch endlich war Burg Taben in Sicht. Schon weit vor dem Burgtor kam den Männern ein aufgebrachter Markus Jost entgegen. Obwohl die Bläser ihm inallen Einzelheiten von dem Vorfall berichtet hatten, kam es ihm nicht in den Sinn, den Männern in irgendeiner Form zu helfen, ihnen womöglich einen Wagen anzubieten, auf dem sie Heinrich den restlichen Weg hätten fahren können. Statt dessen baute er sich in seiner vollen Größe vor ihnen auf. »Was ihr euch heute geleistet habt, haut dem Faß ja wohl den Boden aus!« brach es haßerfüllt aus ihm hervor. Im Geiste sah er immer noch Herzog Ulrichs verärgerte Miene vor sich, der sofort nach der Jagd die Heimreise nach Stuttgart angetreten hatte.
Die Arme vor der Brust verschränkt, fuhr er mit seiner Maßregelung fort, als ob es zu diesem Zeitpunkt nichts Wichtigeres gegeben hätte. »Da kommt unser Herzog den weiten Weg von Stuttgart bis hierher gereist, um sich von seinen anstrengenden Amtsgeschäften zu erholen, und was erwartet ihn da: ein Haufen Bauerntölpel, die ihm die Jagd versauen.« Und wie vom Teufel besessen schrie er plötzlich los: »Das hätte nicht nur euren Kopf kosten können, sondern den meinen dazu!« Sein Gesicht war zu einer boshaften Grimasse verzogen, als er an Jerg gewandt fortfuhr: »Und du, Herr Ach-wie-bin-ich-mutig, wagst es, dem Herzog zu widersprechen, das muß man sich mal vorstellen!« Mittlerweile drohten seine Augen aus ihren Höhlen zu quellen, so weit hatte er sie aufgerissen.
Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte Jerg über Josts entstellte Fratze lachen können. Doch nun stand ihm der Sinn viel eher danach, diesem fetten, feigen Schwein, das nur Sorge hatte, ob wohl durch den Vorfall ein Schatten auf seine eigene Position fallen könnte, eins auf sein fettes, feistes Maul zu geben. Plötzlich fielen ihm Cornelius’ Worte wieder ein: »Der Jost hat selbst ein Auge auf die Hure geworfen.« Mit einem Ruck wollte er auf den Burgverwalter zu springen. »Du dreck …!«
»Herr Jost«, Cornelius schnitt Jerg das Wort ab, gleichzeitig packte er ihn von hinten am Kragen, bevor er noch mehrUnheil anrichten konnte. »Wir bitten Euch im Namen dieses Verletzten hier, laßt uns jetzt weiterziehen. Was geschehen ist, bedauern wir, doch läßt es sich nicht wieder gutmachen, indem wir den Mann hier verbluten lassen.« Dabei hielt er seinen Blick gesenkt und versuchte, seiner Stimme einen reumütigen Ton zu verleihen.
Voller Abscheu blickte der Verwalter auf die blutverklumpte Gestalt Heinrichs. »Nun, gut, ich sehe, daß dieser Tölpel hier Hilfe braucht, und dem will ich nicht im Wege stehen. Wenn er stirbt, ist er schließlich
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