Die Silberdistel (German Edition)
doch völlig blöd bin ich auch nicht. Mit einem Männerchor hat dein ganzes Benehmen kaum etwas zu tun! Immer wieder verschwindest du unangekündigt für einen Abend oder gar die halbe Nacht. Und jetzt noch dieses ›Treffen‹ mit anderen Gesangsgruppen. Das nehm’ ich dir einfach nicht ab. Ich möcht’ jetzt auf der Stelle von dir wissen, was du vorhast!«
Cornelius baute sich bedrohlich vor seinem jüngeren Bruder auf und versperrte ihm den Weg. »Wie stellst du dir das eigentlich vor? Die ganze Feldarbeit! Flachs und Hanf gehören schon längst eingesät, statt dessen sind wir noch nicht einmal mit dem Lockern fertig! Und jetzt verschwindest du einfach mir nichts, dir nichts! Soll ich morgen vielleicht den Pflug gleichzeitig ziehen und lenken?«
Jerg hätte vor Ungeduld platzen können. Gerade jetzt mußte Cornelius mißtrauisch werden! Wo die anderen doch schon am Ortsausgang von Taben auf ihn warteten! Wie konnte er jetzt bloß seinen Kopf so geschickt wie möglich aus der Schlinge ziehen? Weitere Lügengeschichten wollte er seinem Bruder nicht auftischen, doch die Wahrheit konnte er Cornelius ebenfalls unmöglich sagen.
»Nun, was ist? Hat’s dir etwa zum ersten Mal in deinem Leben die Sprache verschlagen? Oder soll ich die Wahrheitaus dir herausprügeln? Das hätt’ ich wahrscheinlich schon viel früher tun sollen, aber zu spät ist es jetzt immer noch nicht!«
Nun war auch noch Marga hinzugetreten. Mit fragendem Blick beobachtete sie, wie Jerg sein Bündel festzurrte. Laut sagte sie: »Was ist denn los? Warum schreist du so, Cornelius?« Sie stellte sich vor ihren Mann, als wolle sie ihn vor seinem Bruder schützen.
Cornelius schob sie mit dem rechten Arm fort, ohne sie überhaupt anzublicken. »Marga, verschwind! Das hier ist Männersache!« Erschrocken wich Marga ein Stück zurück. Daß Cornelius handgreiflich wurde, hatte sie noch nicht erlebt. Sie blickte zu Jerg. Er und Cornelius fixierten sich wie zwei beißwütige Hunde. Ohne den Blick von seinem Gegenüber abzuwenden, gab Jerg ihr mit dem Kinn einen Wink, und so zog sie sich, wenn auch zögerlich, zurück.
»Also, was ist? Ich warte auf eine Antwort!«
Jerg schnaufte. »Herrgott im Himmel! Ich kann dir heute keine Antwort geben! Wenn du nicht willst, daß ich dich anlüge, dann gib dich mit meinem Schweigen zufrieden, bis ich zurückkomme.«
Seine Stimme hatte einen flehenden Ton angenommen, der Cornelius beinahe schwach werden ließ. Doch dieser hatte sich vorgenommen, heute die Wahrheit aus Jerg herauszukriegen, komme was wolle. Ärger darüber, daß er dies so lange hinausgeschoben hatte, schwang jetzt in jedem seiner Worte mit.
»Wochenlang habe ich mich mit deinem Schweigen und deinen Lügen zufriedengegeben, habe gehofft, du würdest von selbst zu mir kommen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich dachte, nach Vaters und Mutters Tod wäre ich an deren Stelle getreten. Du müßtest doch wissen, daß du deinem Bruder alles erzählen kannst! Statt dessen betrügst du deine Familie lieber nach Strich und Faden.«
Er faßte Jerg an beiden Schultern und schüttelte ihn.
»Ein letztes Mal frag’ ich dich: Was hast du vor?«
»Was ich vorhabe? Das willst du gar nicht wissen, glaube mir! Nur soviel: Ist dir schon jemals in den Sinn gekommen, daß das, was ich tue, eine feine Sache ist? Die uns allen helfen soll? Nein, du denkst immer nur das Schlimmste von mir!«
Er zog sich seine Jacke an. Mit einem Ruck warf er sich sein Gepäck über die Schulter.
»Als ob ich zu meinem Vergnügen lüge! Ich habe allmählich die Nase voll!« Grob schob er Cornelius auf die Seite. »Jetzt laß mich gehen.«
Marga wollte ihm nachlaufen, doch Cornelius hielt sie am Arm fest. »Keine Angst, der kommt wieder!« beruhigte er sie. »Was ich sage, geht bei Jerg eh in ein Ohr hinein und aus dem anderen wieder heraus.« Laut schrie er ihm hinterher:
»Verschwinde doch! Aber hier brauchst du dich nicht mehr blicken lassen! Lügner haben hier nichts nach!«
Es war eine bunt zusammengewürfelte Schar von Bauern, die sich an diesem Freitagabend von Taben aus in Richtung Untertürkheim auf den Weg gemacht hatte. Während der langen Wanderung plagte sich Jerg immer wieder mit dem Gedanken an den vorangegangenen Streit. Tatsächlich machten ihm Cornelius’ Worte mehr zu schaffen, als ihm lieb war. Hätte er nicht besser doch die Wahrheit sagen sollen?
»Wir Männer singen und wandern, alle miteinander und einer nach dem andern … Hoho, das ist ein toller Streich,
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