Die Silberdistel (German Edition)
sollte. Denn ein Mann, der im Vollrausch nicht weiß, was er sagt, war das letzte, was der Geheimbund brauchte!
Jerg dachte an sein Gespräch mit Bantelhans auf dem alten Friedhof zurück. Der alte Knabe wäre stolz auf ihn, wenn er wüßte, wie bedacht er vorging … Von wegen Geheimnisse verraten, pah!
Daß er sich schließlich dazu entschlossen hatte, Hannes anzuwerben, hatte mehrere Gründe: Erstens wollte Jerg so viele Männer wie nur möglich gewinnen. Zweitens war Hannes groß und kräftig, und daß er nicht zögerte, hin und wieder auch einmal zuzuschlagen, konnte für den Geheimbund vielleicht sogar noch von großem Nutzen sein! ›Irgendwann einmal wird es auch beim Armen Konrad tatkräftig zugehen! Und dann können wir einen wie den Hannes gut brauchen. Einen, der nicht nur dumm herumredet.‹ Außerdem konnte er ihn einfach gut leiden. Daß der Hannes in betrunkenem Zustand Heimlichkeiten preisgab, war ein Risiko, das Jerg eingehen mußte, wenn er ihn dabeihaben wollte. Doch schien da keine Gefahr zu bestehen, tröstete sich Jerg. So begeistert, wie Hannes sich geäußert hatte! Schnell war man sich einig geworden: Sobald es losging, konnte man mit Hannes rechnen! Der außerdem zum Schein bei Jergs Männerchor mitmachen wollte! Mittlerweile hatte es sich nämlich herausgestellt, daß es fast schwieriger war, Männer für den Chor zu finden als Mitglieder für den Armen Konrad!
Doch heute hatte Jerg in zweifacher Hinsicht Glück gehabt, und so war er also wieder auf dem Heimweg nach Taben, ehe er sich versah. Er beschloß, den Rest des Abends mit einem Besuch bei Sureya zu verbringen. Irgendwann mußte ein Mann auch einmal an sich selbst denken! Und überhaupt –Marga war am Morgen wieder einmal recht seltsam gewesen. ›Richtig ruppig war sie, wenn ich mir das so überlege!‹ dachte Jerg. ›Wer weiß, welche Laus der wieder über die Leber gelaufen ist? Da lob’ ich mir doch die Hure! Die versteht es, einen Mann auf andere Gedanken zu bringen!‹ In freudiger Erwartung beschleunigte er seinen Schritt.
Wochenlang waren seine Besuche bei Sureya ganz ausgefallen, doch wieso sollte er seine Geschichte mit dem Männerchor nicht auch als Ausrede für ein Schäferstündchen nutzen? Nicht, daß er unter den fehlenden Besuchen gelitten hatte. Ganz im Gegenteil. Zum ersten Mal in seinem Leben sah sich Jerg in seiner Männlichkeit bestätigt, ohne dabei ein Weib besteigen zu müssen. Jerg war mit sich und der Welt rundum zufrieden. Um nicht von jemandem gesehen zu werden, machte er um Taben einen weitläufigen Bogen. Doch wie es der Teufel so wollte, begegnete ihm kurz vor Sureyas Haustür Asa, das Kräuterweib, und er konnte nicht anders, als sie zu grüßen.
»Zeigen deine Schlummertrünke so wenig Wirkung, daß dir selbst der Schlaf versagt bleibt? Oder was treibst du sonst um diese Zeit in der Dunkelheit?«
Asa, die Jerg das gleiche hätte fragen können, unterließ dies, da sie ohnehin wußte, was Jerg hier zu suchen hatte. ›Männer halten uns Frauen immer für dumm! Und taub und blind dazu! Seine Marga scheint ja wirklich alles davon zu sein … Sonst hätte die seinem Treiben mit der Hure doch schon längst ein Ende gesetzt‹, dachte Asa. Seelenruhig antwortete sie jedoch:
»Guten Abend, Jerg. Auch eine Heilerin hat menschliche Bedürfnisse, die sie lieber im Freien verrichtet. Reicht dir diese Antwort, oder soll ich dir Einzelheiten erzählen?«
Mit Befriedigung stellte sie fest, wie Jerg errötete, was selbst in der Dunkelheit nicht zu übersehen war. Man mußte nur von körperlichen Dingen reden, und schon konnte man den stärksten Mann aus der Fassung bringen. Hah, wenn dieMänner Kinder zur Welt bringen müßten, gäbe es wahrscheinlich viele Bastarde weniger, da bin ich mir sicher! Spöttisch beobachte Asa, wie Jerg unsicher von einem Fuß auf den anderen trat.
In Asas Gegenwart war es Jerg nie besonders wohl. Sie war ihm unheimlich. Er überlegte gerade, ob er nun zum Schein an Sureyas Hütte vorbeigehen sollte, als die Türe aufging.
»Komm rein.«
Mehr sagte sie nicht, beachtete auch Asa mit keinem Blick, sondern verschwand sofort wieder in ihrem Haus. Jerg folgte ihr.
In dem kleinen Haus hatte sich nichts verändert: Auch Anfang Mai brannte bei Sureya das Feuer lichterloh, in der hintersten Ecke des Raumes lagen zusammengekauert ihre beiden Kinder, und Sureyas Schlafstätte war unter einem Berg von zerwühlten Decken verborgen. Auf diesen ließ sich die Hure nun nieder.
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