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Die Silberdistel (German Edition)

Die Silberdistel (German Edition)

Titel: Die Silberdistel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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jeder kannte Bantelhans. Martin schien es indessen die Sprache verschlagen zu haben. Doch Jerg hatte im Augenblick für seinen Kameraden keinen Blick übrig, wo es soviel zu sehen und zu hören gab!
    In welches Gesicht er auch blickte, überall war von Hoffnung und Zuversicht zu lesen. Es war, als habe jede der zerlumpten, verhärmten Gestalten vor den Toren Untertürkheims im stillen für sich beschlossen, daß es in dieser Nacht keine Zweifel an einer besseren Zukunft geben durfte. Zusammen mit den besser gekleideten Händlern und Kaufleuten, deren Anzahl ebenfalls in die Hunderte gehen mußte, hatten die Bauern in dieser Nacht ihre alten Ängste und Sorgen abgestreift, um Platz zu schaffen für den Glauben an eine bessere Zukunft. Obwohl keiner der Versammelten wußte, was der morgige Tag bringen würde, waren doch alle hoffnungsfroh und guter Dinge.
    ›Wenn nur Cornelius hier wäre‹, ging es Jerg durch denKopf. Der Gedanke daran, daß er diese Nacht und ihre eigentümliche Stimmung mit niemandem von seiner Familie teilen konnte, schmerzte und dämpfte für einen Augenblick seine Freude. Er warf Martin einen Blick zu und sah Tränen in den Augen des alten Bauerns. Stumm legte er ihm eine Hand um die Schulter.
    Nach kürzester Zeit fühlte sich Jerg nicht nur trunken, sondern auch verwirrt. Die vielen Namen und Gesichter, wie sollte sich ein Mensch die alle merken! Und dann dieser Lärm! Unwillkürlich mußte er an seine Schwägerin denken. Er lachte in sich hinein. Und er hatte immer gedacht, Lene sei laut! Singen, Lachen, Streitgespräche und heftiges Zanken vermischten sich hier zu einem lauten Grollen. Hätte Jerg es nicht besser gewußt, hätte er angenommen, daß sich direkt über ihren Köpfen ein riesiges Gewitter zusammenbraute. Doch Jerg ahnte, daß das Gewitter, das sich in den Köpfen der Menschen zusammenbraute, jedes Naturschauspiel um ein Vielfaches an Gewalt und Stärke überbieten würde …
    Plötzlich hatte sich eine dichte Wand von Menschen vor den drei Männern aufgebaut, durch die es kein Durchkommen zu geben schien. Jerg stellte sich auf die Zehenspitzen, um den Grund für diesen Menschenauflauf zu erkennen. Bantelhans, der ein gutes Stück größer war als Jerg, kam ihm mit einer Erklärung zuvor.
    »Da vorne scheint Johann Dettler eine Rede zu halten. Seltsam, das war eigentlich erst für den morgigen Tag geplant … Doch das dürfen wir nicht verpassen! Dettler ist einer von unseren schlauesten Köpfen. Wenn der was zu sagen hat, lohnt sich das Zuhören!«
    Mit diesen Worten drängte sich Bantelhans am Rand der Menschenmenge vorbei. Dettler hatte mit seiner Ansprache schon begonnen:
    »… und so sind wir alle unter großen Gefahren hierher gekommen. Jeder hat einen Grund für seine Abwesenheit erfinden müssen, hat Angehörige belügen und die Obrigkeittäuschen müssen, um nach Untertürkheim zu kommen. Ich sage: Jeder der hier Anwesenden ist mutig! Jeder ist ein ganzer Kerl! Jeder ist ein Held!«
    Begeistert stimmte die Menge ihm zu, doch Johann Dettler hob beschwichtigend die Hand. Nicht für einen Moment wendete er den Blick von seinen Zuhörern ab.
    »Und warum haben wir die ganze Mühsal auf uns genommen und sind nach Untertürkheim gekommen?«
    Geschickt machte er eine Kunstpause. Bantelhans konnte nicht anders, als den Redner zu bewundern. Der Kerl verstand sein Handwerk – mochte er ihm als Mensch auch nicht besonders genehm sein.
    Gerade war Dettler dabei, die Forderungen der Bauern und der Kaufleute aufzuzählen: »Wir sind hier, um dafür zu sorgen, daß das alte Recht wiederhergestellt wird. Ein Recht, mit dem wir alle leben konnten!« Im Takt zu seinen Worten stampfte er mit dem rechten Bein auf den Boden. »Für dieses Recht stehen wir! Und dafür werden wir auch kämpfen, wenn es sein muß!«
    »Jawohl, dafür kämpfen wir!« erwiderte die Menschenmenge wie ein Mann. Zufrieden blickte Dettler von seinem Podest hinunter. So gefiel es ihm! Er wollte der aufgeheizten Menge keine Ruhepause gönnen und fuhr fort:
    »Und dieses alte Recht heißt: Wald und Wild gemein!«
    »Ho!«
    »Und dieses alte Recht heißt: Frondienste ade!«
    »Ho!«
    »Und für diese Rechte kämpfen wir!«
    »Hooo!«
    Bantelhans schaute sich um. Die Augen der Zuhörer waren starr nach vorne gerichtet, die meisten von ihnen hatten einen fiebrigen Blick. Auch Jerg neben ihm konnte seinen Blick nicht von dem Mann auf dem Podest abwenden. Plötzlich wurde Bantelhans unwohl. ›Jemand, der so reden kann,

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