Die Silberdistel (German Edition)
diesem Rotzlöffel eine Lektion in guten Manieren erteilt. Doch jetzt galt es, die aufgebrachte Menge wieder zu beruhigen.
Dettler stieg wieder aufs Podest. Als wahrer Meister seines Faches verstand er es, seiner Rede jetzt die Schärfe wieder zu nehmen und dennoch die Aufmerksamkeit der Menschen weiterhin zu erhalten. Er redete von den Plänen für den kommenden Tag und davon, daß Ruhe und Friedfertigkeit zur Zeit am allerwichtigsten seien. Er betonte, daß man mit dieser Taktik schließlich schon einen Sieg errungen habe, nämlich die Rücknahme der Verbrauchssteuer. Sah es anfangs so aus, als würde sich die Meute mit dieser für sie unbefriedigenden Wende in Dettlers Rede nicht zufriedengeben, so hatte er sie doch nach kurzer Zeit wieder in der Hand. Am Ende gingen die Männer friedlich in alle Richtungen auseinander.
»Was war denn los?« Jerg, der von dem Inhalt des Disputs zwischen Dettler und Bantelhans nichts mitbekommen hatte, war neugierig.
Dieser wehrte ab. »Nichts von Bedeutung! Sag mir lieber, wie dir die Rede gefallen hat.« Jerg brauchte nicht lange zu überlegen. »Der Dettler, das ist unser Mann! Undrecht hat er! Wir müssen kämpfen für das, was wir im Sinn haben!« Er runzelte die Stirn. »Nur sein Schluß hat mir nicht gefallen. Kannst du mir sagen, wieso der Dettler zu Beginn wie ein wildgewordener Stier brüllt, um am Ende wie ein frommes Lämmlein von der Kanzel zu steigen? Warum schlagen wir nicht gleich richtig los?«
»Jetzt fang du nicht auch noch an, ungeduldig zu werden!« Wenn Dettlers Rede eine solche Wirkung auf Jerg gehabt hatte, dann konnte er sich ausrechnen, daß die anderen Zuhörer nicht minder aufgestachelt waren. Für Bantelhans begann die Nacht allmählich an Reiz zu verlieren. Die fortwährenden Spannungen und Uneinigkeiten innerhalb des Geheimbundes rieben seine Nerven auf. Wie einfach war es da zu seiner Soldatenzeit gewesen! Da war einer, der die Befehle gab, und diese wurden dann von allen anderen befolgt. Widerreden? So etwas kannte man in einem Soldatenleben nicht.
»Wen wundert es, wenn wir ungeduldig sind! Lange genug mußten wir Bauern schließlich die Mühsal der Armut und der Ungerechtigkeit tragen. Da kannst du als Soldat und Kaufmann doch gar nicht mitreden! Ungeduld, pah! Viel zu lange haben wir stillgehalten!« Obwohl er wieder einmal den Ständeunterschied zwischen ihnen ansprach, fehlte es Jergs Worten an Schärfe. In den letzten Wochen hatte der alte Soldat seinen Respekt und seine Hochachtung gewonnen.
»Dann wirst du es wohl auch noch ein bißchen länger durchhalten!« Bantelhans gähnte und machte sich auf in Richtung Stadtwald, wo die Dettinger ihr Lager hatten. Jerg ließ er einfach stehen. »Ihr beiden werdet hoffentlich alleine zu den anderen zurückfinden! Wenn es hell wird, treffen wir uns dann alle am äußersten rechten Brunnen. Bis dann!« rief er Jerg noch über die Schulter zu.
Kopfnickend erwiderte Jerg den Abschiedsgruß. Nicht um alles in der Welt hätte er zugegeben, daß er sich mit dem Rückweg zu seinem Lager gar nicht so sicher war.
Ohne größere Schwierigkeiten trafen sie jedoch kurze Zeit später auf den Rest der Gruppe. Doch statt sich wie Martin und die anderen am wärmenden Feuer niederzulassen, griff Jerg nach einem halbvollen Krug Wein und machte sich noch einmal auf den Weg. Etwa hundert Meter von ihrem Lagerplatz entfernt hatte er Dettler gesehen. Jerg war von Dettlers Person und seiner Rede wie verhext. Wer war dieser Mann? Und wo lernte man, Worte zu schmieden wie heißes Eisen?
Das Glück schien ihm hold zu sein. Kurze Zeit später fand er Dettler, der sich gerade an einem Baum erleichterte. Als dieser bemerkte, daß er nicht allein war, rief er laut: »Vor lauter Redenschwingen komme ich nicht mehr zum Pissen! Meine Blase wollte schon fast platzen!« Jerg lachte und schwenkte seinen Krug Wein.
»Dafür hab’ ich gleich was zum Nachfüllen dabei, wenn’s genehm ist!«
»Und ob’s genehm ist!« Dettler musterte Jerg kurz. »Sag, bist du nicht vorhin in Begleitung des alten Soldaten gewesen, dessen Hosen wegen meiner Worte so voll waren, daß sie schon fast bis zum Himmel stanken?«
»Wenn du Bantelhans meinst, ja, mit dem war ich zusammen bei deiner Rede – aber einen Angsthasen tät’ ich ihn nicht nennen!«
»Ach so, dann gehörst du auch zu diesen Schwatzbasen, die ihren Worten keine Taten folgen lassen wollen!« Dettlers Ton hatte sich merklich abgekühlt. Er wandte sich ab.
Jerg dachte an die
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