Die Silberdistel (German Edition)
besitzt große Macht, vielleicht zu große Macht‹, ging es ihmdurch den Sinn. Der Gedanke machte ihm angst. So etwas hatte er bisher nur in Kirchen und Kathedralen erlebt, wo wortgewandte Pfaffen auf ihre Gemeinde einhämmerten, bis den armen Menschen vor religiöser Besessenheit ganz schwindlig wurde.
»… doch da gibt es ein paar Herrschaften, die wollen dieses alte Recht nicht mehr haben. Denen ist das alte Recht nicht mehr gut genug – ganz im Gegenteil! Die erfinden immer neue Gesetze und Verordnungen, um wie Zecken dem Bauern das letzte bißchen Blut aus den Adern zu saugen! Lamparter, Lorcher und Thumb heißen diese Ganoven, und sie nennen sich herzögliche Berater. Pah!«
Dettlers Stimme klang angeekelt, als ob er etwas Bitteres gekostet habe. Die Menge tobte. Überall wurden Rufe laut wie »Weg mit diesen Beratern!« oder »Kopf ab!« oder »Die gehören davongejagt, diese Schweine!«
Bantelhans blickte sich abermals besorgt um. Wenn Dettler nicht bald damit begänne, die Leute zu beruhigen, würde die Menge außer Kontrolle geraten.
»Warum eigentlich bis morgen warten? Jagen wir doch den Städtern jetzt ein bißchen Angst ein!« rief schon einer aus den vorderen Reihen.
»Jawohl, laßt uns den Ratsherren doch einen kleinen Besuch abstatten!« kam es von weiter hinten.
Bantelhans war wütend. Warum konnte Dettler sich nicht an ihre Abmachungen halten? Das war nicht das erste Mal, daß ein führender Kopf des Armen Konrad auf eigene Faust handelte! Erst letzte Woche hatte der Leonberger Hauptmann seine Männer gegen das dortige Rathaus geführt und öffentlich Stadträte und Vogt verhöhnt. In Backnang war es zu einem ungeplanten Aufstand gekommen, als die dortige Dorfpolizei einen Streit im Wirtshaus schlichten wollte. Plötzlich hatten sich alle Trinkbrüder gegen die Büttel vereinigt und diese aufs übelste beschimpft.
Bantelhans betrachtete solche Vorkommnisse mitBesorgnis. Hans Vollmar, wie Bantelhans ein Mann der ersten Stunde, teilte seine Bedenken. Beide waren dafür, nach einer sorgfältigen Planung im ganzen Land gleichzeitig loszuschlagen. Und diese Ansicht vertraten sie mit Vehemenz bei jedem Treffen. Bantelhans’ Erfahrungen als Soldat hatten ihn gelehrt, daß ein Feldzug ohne Planung immer ein verlorener Feldzug war. Doch auf den Sitzungen der Hauptleute war er stets in der Minderheit. Die meisten Anführer hielten die Zeit für einen großen Rundumschlag noch nicht für reif, befürworteten aber die Strategie der kleinen Nadelstiche, wie sie von Johann Dettler genannt wurde.
Mit aller Kraft versuchte er jetzt, sich durch die Menge nach vorne zu zwängen. Von jeder Seite wurde er angerempelt. Doch er schaffte es, am Rednerpodest anzukommen, ohne in ernsthafte Reibereien verwickelt worden zu sein. Dettler hatte gerade zu einem neuen Redeschwall angesetzt.
»Ich frage euch erneut: Was soll der Herzog mit diesen Blutsaugern als Berater? Oder ist unser Landesherr etwa selbst ein Blutsauger?«
Er griff sich erstaunt an die Stirn, als ginge ihm dieser Gedanke zum ersten Male durch den Sinn. Das Ganze war mittlerweile zur Parodie eines Theaterstücks geworden. Nur daß ein Theaterstück kaum solchen Schaden anrichten konnte wie diese Rede! Händewinkend versuchte Bantelhans, Dettler auf sich aufmerksam zu machen. Bis dieser endlich in seine Richtung schaute, verging nach Bantelhans’ Empfinden eine halbe Ewigkeit, in der sich die Menge immer stärker aufheizte.
»Was willst du denn?« fragte Dettler unwirsch, als er Bantelhans’ gewahr wurde. »Siehst du nicht, daß ich eine Rede halte?«
»Und ob ich das sehe!« entgegnete der alte Soldat. »Und ich sehe noch viel mehr! Merkst du denn nicht, was du mit deiner Rede anstellst?«
Selbstzufrieden blickte Dettler sich um. »Du hast recht, diesind wild wie der Teufel!«
Entgeistert sah Bantelhans Dettler an. Hatte er es hier etwa mit einem Wahnsinnigen zu tun?
In der Zwischenzeit war die Menge immer unruhiger geworden.
Mit einem Wink gab Dettler seinen ungeduldigen Zuhörern zu verstehen, daß er gleich fortfahren würde. Gegenüber Bantelhans hob er beschwichtigend die Hände.
»Schon gut, schon gut. Wollt’ nur mal schauen, wie weit die Männer gehen würden. Keine Sorge, ich bring’ sie schon wieder zur Vernunft. Das heißt, wenn mich der hochverehrte Herr der tausend Schlachten wieder reden läßt …?«
Bantelhans wußte, daß Dettler sich mit seiner übertriebenen Höflichkeit über ihn lustig machte. Zu gerne hätte er
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