Die Silberdistel (German Edition)
voreinander. Ich betete jeden Abend zu Gott, er möge mir noch einen weiteren Tag bei Asa schenken, denn ich wußte, daß Lene mein Dasein nach meiner Rückkehr noch freudloser gestalten würde als zuvor. Und in der Tat schien Gott meine Gebete zu erhören. Bis kurz vor Weihnachten jedenfalls.
»Klopfa, klopfa Hemerle, ‘s Brot leit im Kemerle, ‘s Messer leit daneba, willsch mr ebbes geaba, Epfel raus, Bira raus, no gehm mr in an anders Haus.«
Als Asa die fünfköpfige Bande verwegen verkleideter Kindergestalten in ihrer Türe stehen sah, mußte sie lachen.
»Sagt, hat sich heute die ganze Dorfjugend darauf geeinigt, den Säcklestag vor meiner Haustür abzuhalten – oder besucht ihr auch noch andere Häuser?« Sie kramte in ihrem Vorratsschrank nach Äpfeln und Birnen und legte noch ein paar getrocknete Pflaumen dazu. Überglücklich über diese reiche und so einfach ergatterte Beute machten sich die Kinder wieder auf den Weg, um im nächsten Haus ihr Sprüchlein aufzusagen.
»Das war jetzt schon die dritte Meute! Ich glaube, für die kleinen Halunken ist heute Erntetag!« Sie lächelte.
»Ich find’ es schön, daß so viele Kinder zu dir kommen! Ich weiß nicht, ob es daran liegt, daß Cornelius’ Haus eines der letzten ist, oder ob die Kinder sich vor Lenes sauertöpfischer Miene fürchten – zu uns kommen sie ganz selten!«
»Wahrscheinlich hätte deine Schwägerin ihnen eh nur einen verfaulten Apfel mit Wurm in den Sack gesteckt!« Und schon wieder fingen wir an zu kichern. Als es erneut an unserer Tür zu klopfen anfing, dachten wir uns nichts dabei. Schließlich war Säcklestag. Doch statt einer Meute von Kindern stand diesmal Cornelius in der Tür.
Asa hatte sich als erste wieder gefaßt. Sie winkte Cornelius, der verlegen seinen Hut zwischen den Händen knetete, ins Haus.
»Gerade haben wir von dir gesprochen, ist das nicht ein Zufall? So komm doch herein. Wir freuen uns immer über einen Krankenbesuch, nicht wahr, Marga?« Sie warf mir einen kurzen, verschwörerischen Blick zu, den ich allerdings nicht sofort zu deuten wußte. Cornelius setzte sich auf einen Schemel, den Asa herbeigezogen hatte.
»Ein Krankenbesuch, jaja …« Verlegen blickte er von Asa zu mir. »Ich wollt’ mich eigentlich erkundigen, wann Marga wieder nach Hause kann.«
Ich begann zu zittern. Jetzt war es soweit. Cornelius war gekommen, um mich zu holen. Asa verschränkte die Arme vor ihrer Brust und schien tief in Gedanken versunken zu sein, bevor sie ihm endlich antwortete.
»Tjaaa«, kam es gedehnt, »das mit Margas Gesundung ist so eine Sache … Doch bevor ich dir ihre ganze Krankengeschichte erkläre, sag, Cornelius, warum kommst du erst heute vorbei? Als treusorgenden Schwager haben wir dich schon viel eher erwartet!« In einem beiläufigen Ton trug Asa diesen gezielten Angriff vor.
Ich hielt die Luft an. Wie konnte Asa das nur fragen! Hatte sie mich im stillen vielleicht schon längst wieder loswerden wollen? Das konnte ich nicht glauben.
Verlegen blickte Cornelius zu Boden. Mit ihrer Frage hatte Asa einen wunden Punkt getroffen.
»Es ist so, daß … wie soll ich’s sagen? Zuerst die Arbeit auf dem Felde, vor allem seit Jerg weg ist …« Prüfend blickte er mich erneut an. Hatte er etwas Falsches gesagt?
Doch so leicht wollte Asa ihn nicht aus der Schlinge lassen. Sie bohrte weiter. Fast hatte ich schon Mitleid mit meinem großen, ungelenken Schwager.
»Tja, und dann ist da noch das Weib …« Um Verständnis heischend blickte er zu mir herüber. »Marga, du kennst doch die Lene. Einen Gruß soll ich dir übrigens sagen.«
Wer’s glaubt, wird selig, dachte ich bei mir. Nie und nimmer hätte Lene mir einen Gruß ausrichten lassen, und wenn,dann den, daß ich mich zum Teufel scheren könne. Aber Cornelius meinte es gut, und so hatte ich Erbarmen mit ihm. Doch bevor ich etwas sagen konnte, mischte Asa sich ein.
»Tja, Cornelius, um auf deine Frage zurückzukommen: Das mit Margas Heimkehr – das will genauestens geplant sein! Übers Schlimmste ist sie zwar hinweg, aber ein Rückfall ist jederzeit möglich. Gerade jetzt in der kalten, feuchten Jahreszeit. Eine Tür, aus Versehen offen gelassen, ein Fensterladen, aus Unachtsamkeit nicht richtig geschlossen, und schon fängt sie sich erneut einen Husten ein.«
Bedeutungsvoll zog sie die Augenbrauen hoch. Natürlich war Cornelius nicht so dumm, daß er ihre Anspielung auf Lenes nachlässiges Verhalten zu Beginn meiner Erkrankung nicht erkannt hätte. Aber
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