Die Silberdistel (German Edition)
doch einfach bei uns im Dorf!«
»Und lassen uns dann vom Jost in den Turm sperren wie dein Jerg, oder wie?«
»Wir müssen ja nicht gleich zum Sturm auf die Burg blasen! Ich rede nicht von großen Taten, sondern davon, daß wir uns tief drinnen, in unserem Inneren, zur Wehr setzen sollten! Er muß einfach spüren, daß wir keine Angst vor ihm haben! Vielleicht können wir Jost und seinesgleichen so zeigen, daß wir uns nicht geschlagen geben?«
Langsam strich sich Pfarrer Weiland über den Bart. »Marga hat vielleicht gar nicht so unrecht! Wenn man den Menschen nicht zuviel auf einmal abverlangt, dürften sie wohl bereit sein,einen Versuch zu wagen. In ganz Taben gibt es doch kaum eine Familie, die von Unheil, Krankheit und Tod verschont geblieben ist! Sollen die Menschen dies einfach so hinnehmen?«
Asa war immer noch nicht überzeugt.
Tief in Gedanken versunken saßen wir da. Dann blickte Weiland auf. »Da fällt mir übrigens etwas ein – ich habe von einem Mann erfahren, der …« Er erzählte uns von einem Blitz, der in das heilige Haus Gottes eingeschlagen hatte und dabei zu sein schien, gewaltige Löcher in dessen Decke zu reißen. Dieser Blitz hatte einen Namen: Martin Luther, in Wittenberg zu Hause, welches laut Weiland viele Tagesritte von uns entfernt lag. Dieser Luther war ein Augustinermönch von kräftiger Statur und mit dem Maul eines Marktschreiers, das er sich gehörig zu zerreißen schien. Aufmerksam hörten wir zu, wie Weiland Stücke aus einem Brief vorlas, den er vor einiger Zeit von einem alten Studienfreund bekommen hatte und den er wie einen wertvollen Schatz stets mit sich trug. Weilands Freund hatte das Glück gehabt, bei einer Rede dieses Luther anwesend zu sein, worüber er in dem Brief ausführlich Bericht erstattete. Von vielem war da die Rede, was für mich zuerst keinen Sinn ergab. Froh, endlich jemanden gefunden zu haben, mit dem er diese geheimen und gefährlichen Neuigkeiten teilen konnte, machte Weiland sich daran, uns die Ansichten dieses Mönches zu erklären.
Asa schüttelte ungläubig den Kopf. »Ein Mönch, der solche Reden schwingt – und der nicht dafür bestraft wird? Das kann ich nicht glauben. Gegen diesen Luther war der Arme Konrad ein richtiges Waisenknäblein, und seht euch nur an, was mit seinen Anhängern geschehen ist! Ich sag’ euch hier und jetzt: Dieser Luther redet sich mit solchem Geschwätz um Kopf und Kragen!«
»Darüber habe ich mir auch den Kopf zerbrochen. Im Kloster Weil würden solche Reden weiß Gott nicht geduldet werden! Mit solch einem Aufrührer würde Abt Richard kurzenProzeß machen. Aber ich glaube, dieser Luther genießt eine gewisse Narrenfreiheit, weil er dem Schutz des großen und mächtigen Kurfürsten von Sachsen untersteht. Dies ist zumindest die Erklärung, die mein Freund für dieses Kuriosum hat …«
Asa nickte. Scheinbar hatte sie alles verstanden.
Ich kam mir unendlich dumm vor, als ich zu einer weiteren Frage anhob: »Eines ist mir immer noch nicht klar … Was will denn dieser Luther nun eigentlich? Will er die Kirche aus den Fängen des Papstes in Rom befreien? Oder will er dem einfachen Volk mehr Freiheiten verschaffen? Will er gar mit allen Unterdrückern Abrechnung halten, seien es nun Kirchenvertreter oder Adlige? Oder ist er am Ende nur ein Verrückter, der große Reden schwingt?«
Nachdem ich einen sanften Tadel für eine so dumme Frage erwartet hatte, war ich um so erstaunter, in Weilands ratlose Miene zu blicken. Er lachte kurz auf.
»Um ganz ehrlich zu sein: Was Luther nun wirklich im Sinne führt – dahinter bin ich bis heute auch noch nicht gekommen. Daß er für sein Tun noch nicht gehängt worden ist, finde ich allerdings äußerst ermunternd!«
In diesem Winter saßen wir sehr oft zu dritt an Asas großem Eichentisch und übten uns, wenn auch nur mit Worten, im Widerstand. Wie konnten wir der Obrigkeit und ihren Helfern nur zeigen, daß wir uns längst nicht geschlagen gaben? So sehr ich auch grübeln mochte, hoffte ich doch vergebens auf eine Eingebung weiblicher List und Tücke. Immer wieder kamen wir auf die Schreckenstaten zu sprechen, die Herzog Ulrichs Soldaten im Namen der Gerechtigkeit angerichtet hatten. Damit nicht genug, zog nun auch noch der Hunger in die Häuser der Menschen ein und tat es den Soldaten nach: In diesen Monaten starben allein in Taben fünfzehn Menschen. Wer hätte im vergangenen Herbst die Ernte einbringen sollen, wo doch die Soldaten die Männer wie Vieh auf den
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