Die Silberdistel (German Edition)
Schützend hob ich die Hände vors Gesicht, doch Marianne war wie von bösen Geistern besessen. Immer und immer wieder ging sie auf mich los. Dabei warf sie mir unentwegt böse Beschimpfungen an den Kopf. Endlich bekam ich Mariannes Zopf zu fassen und riß ihn mit aller Gewalt nach unten. »Marianne, halt ein!« Bevor sie ein weiteres Mal auf mich losgehen konnte, hatte ich ihre rechte Hand gepackt und diese grob verdreht, bis ich sie in einem eisernen Griffumklammert bekam. »Ich möcht’ jetzt auf der Stell’ wissen, was dein Gerede zu bedeuten hat! Von deinem Verhalten einmal ganz abgesehen!«
»Tu bloß nicht so scheinheilig! Daß du unsere Männer verraten hast, wissen wir doch schon längst! Da kannst du dich noch so lange unter den Röcken der Heilerin verstecken!«
Ich glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen! Marianne beschuldigte mich, die Männer im Dorf verraten zu haben, während mein Mann sicher auf der Flucht war!
»Wie kommst du auf einen solchen Gedanken? Niemals, um nichts in der Welt würde ich so etwas tun! Lieber würde ich selbst sterben, als jemanden zu verraten!«
»Das kannst du zehnmal sagen! Ich glaub’ dir doch nicht! Wie es wirklich war, wissen wir von deiner Schwägerin, und die muß schließlich die Wahrheit kennen!«
Lene!
»Sicherlich ist es auch völliger Unsinn, daß Lene stundenlang auf dich eingeredet hat, uns doch noch zu warnen, ja? Und es ist außerdem Unsinn, daß Lene dich nach deiner Schandtat aus dem Haus geworfen hat, ja? Weil sie es nicht verkraften konnte, mit einer Verräterin und Mörderin unter einem Dach zu leben!«
Mit einem Ruck riß Marianne sich los. »Du kannst uns erzählen, was du willst, Marga. Wir wissen es besser. Unsere Männer sind tot oder verkrüppelt – und es ist deine Schuld!«
Als Asa mich heimkommen sah, ließ sie vor Schreck ein ganzes Bündel ihrer wertvollen Johanniskräuter fallen. Wo Marianne mich mit ihren Fingernägeln verletzt hatte, lief mir das Blut die Wangen hinab. Ich war jedoch schon wieder so gefaßt, daß ich Asa ruhig berichten konnte, was vorgefallen war. Während sie meine Kratzer versorgte, hörte sie mir schweigend zu.
»Und was willst du nun tun?«
Ich lachte kurz auf. »Da fragst du noch? Auf der Stelle hingehen werd’ ich! Und Lene zur Rede stellen! Das lass’ ichmir nicht gefallen, daß sie solche Lügengeschichten über mich verbreitet! Mochte ich auch früher jede ihrer Bosheiten hinunterschlucken – weder Jerg noch Cornelius davon erzählen –, damit ist es nun vorbei!«
Sinnend blickte Asa mich an. »Du weißt, daß du nach diesem Gespräch nicht mehr in Cornelius’ Haus zurückkehren kannst, oder?«
So weit hatte ich in meiner Wut noch nicht gedacht! Sollte dies bedeuten, daß ich ein weiteres Mal Lenes Gehässigkeiten schlucken mußte?
Doch dann fügte Asa hinzu: »Daß du bei mir wohnen bleiben kannst, brauch’ ich dir wohl nicht laut zu sagen.«
Ich blickte Asa an. »Du meinst doch aber auch, daß ich mich wehren soll, nicht wahr?«
»Unbedingt! Taben muß wissen, daß du keine Verräterin bist!«
Kurze Zeit später war ich zum ersten Mal in meinem Leben Zeugin, wie Cornelius die Hand anlegte. Nachdem er die Kinder ins Nachbarhaus geschickt hatte, verabreichte er, der sonst keiner Fliege etwas tun konnte, Lene eine so gehörige Tracht Prügel, daß die blauen Flecken noch Wochen danach zu sehen waren! Nachdem ich gesagt hatte, weshalb ich gekommen war, wollte ich nun nicht länger bleiben und versuchte, mich unbemerkt unter Lenes Schmerzensgeschrei aus der Tür zu schleichen. Doch Cornelius hatte meine Absicht bemerkt und hielt mit ausgestrecktem Arm inne.
»Halt, Marga! Dieses Schauspiel ist auch für deine Augen gedacht. Vielleicht macht dir das Zusehen genausowenig Spaß wie mir das Schlagen – doch sind wir dies der Ehre der Brauns schuldig!« Und schon wieder zog er Lene eins übers Fell. Ehrlich gesagt – so schlimm fand ich es nun auch wieder nicht, zuzusehen, wie Lene ihre gerechte Strafe bekam!
Was mußte nur in einem Menschen vorgehen, der zu solcher Bosheit fähig war! Immer wieder überlegte ich, ob ich Lene jemals Anlaß zu soviel Haß und Wut gegeben hatte.Doch ich kam zu keinem Ergebnis. Als ich nach meiner Heirat mit Jerg bei den Brauns eingezogen war, hatte ich mich voll und ganz Lenes Anweisungen gefügt, tat, was sie mir befahl und versuchte auch sonst, den kleinen Haushalt nicht durch meine Anwesenheit zu stören. Schließlich mußten Jerg und ich dankbar sein,
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