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Die Silberdistel (German Edition)

Die Silberdistel (German Edition)

Titel: Die Silberdistel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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nach Hause, um das Nötigste zusammenzupacken. Mit schweren Beinen trat ich dann den Rückweg an. Kaum war ich in die nächste Gasse eingebogen, blickte ich zu Tode erschrocken in das böse gefletschte Maul eines riesigen Straßenköters. Als er merkte, daß von meiner Seite keine Gefahr drohte, rannte er eiligst davon. In der Ferne war noch mehr Hundegebell zu hören. Eh’ ich mich versah, kam mir eine wüste Hundemeute unter lautem Gekläffe entgegen. Einige Tiere trugen etwas im Maul. Wo kamen sie nur plötzlich alle her? Erst als sie vorüber waren, traute ich mich, weiterzugehen. Und dann sah ich sie: eine abgetrennte Menschenhand. Zwischen den verwischten Fährten der Hunde lag sie mitten auf der Straße.
    Ich verstand.
    Die Hunde, die ihre Beute davontrugen, die Hand – mein ganzer Körper bebte, und ich konnte nicht mehr an mich halten. Ich schleppte mich zur Seite und übergab mich. Das Erbrochene vermischte sich mit den Tränen, die mir übers Gesicht liefen. Ich glaubte, niemals mehr aufhören zu können,zu groß war der Ekel über das, was ich gesehen und über das, was ich nicht gesehen hatte. Der Ekel galt nicht der kleinen, dunkelbraunen Menschenhand, die einem Kind gehört haben mußte. Nein, der Ekel galt den Menschen, die diesem Kind das angetan hatten. Wo war Gott, als diese Greueltaten geschahen? Was war das für ein Gott, der so etwas überhaupt zuließ?
    Noch nie im Leben hatte ich mich so hilflos, so verlassen gefühlt.
    Doch das Leben ging weiter. Taben schien den grausamen Vorfall mit den Zigeunern bald vergesen zu haben und wandte sich wieder den Alltagsgeschäften zu. Auch Asa und mir blieb nichts anderes übrig, als jeden Tag so zu nehmen, wie er kam. Manches Mal wurde ich von einer so tiefen Verzweiflung gepackt, daß ich mir des Morgens am liebsten die Decke über den Kopf gezogen hätte und gar nicht aufgestanden wäre. Jerg fehlte mir so sehr, und noch immer hatte ich kein Lebenszeichen von ihm erhalten. Sein Betrug, sein Verrat und sein fehlendes Vertrauen in mich, sein Weib – mit der Zeit wurde das alles immer blasser und schemenhafter. Sein Humor jedoch, sein Lachen, seine starken Hände, diese Erinnerungen wucherten. Manchmal glaubte ich, keinen weiteren Tag ohne seine Berührungen überstehen zu können. Doch welche Wahl hatte ich schon?
    Wenigstens ließ Jost sich nicht blicken, worüber wir alle mehr als glücklich waren. Wahrscheinlich saß er auf seiner Burg und ließ es sich dort zusammen mit seinem fetten Weib gutgehen. Das letzte Mal, als ich Sureya zu Gesicht bekommen hatte, war ich erschrocken gewesen. Wie sehr sich ein Mensch in so kurzer Zeit verändern konnte! Aus der mageren Maid mit den verfilzten Haaren war eine schwere Frau geworden, deren Brüste sich von den Speckfalten ihres Bauches kaum mehr abhoben. Ihre Haare trug sie zu einer kunstvollen Krone geflochten, die zudem noch mit Bändern und Perlen verziert war. Nichts erinnerte mehr an die Hure vonfrüher. Die Welt war und blieb ungerecht: Das Weib, das für Jergs Untergang gesorgt hatte, führte ein Leben wie eine Königin. Und was blieb uns anderen übrig? Wir saßen weiterhin in unseren kalten, zugigen Hütten, aßen das wenige, was wir hatten, oder hungerten. Waren weiterhin Jost und seinesgleichen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Manchmal glaubte ich, vor Wut platzen zu müssen, doch dann besann ich mich eines besseren. Schließlich ziemte es sich für nicht ein Weib, so aufbrausend zu sein. Und außerdem hatte ich immer Lene mit ihren bösen Reden und ihrer scharfen Zunge vor Augen. So wollte ich keinesfalls werden! Den ganzen Tag nur herumzujammern und zu klagen – nein, da mußte es doch noch einen besseren Weg geben, um sich seiner Wut und Verzweiflung Luft zu machen.
    »Asa, sag, was diese neuen Gesetze betrifft – das Pfingstfest ist uns doch nicht verboten worden, nicht wahr?«
    »Nein, und auch Pfingsttänze und die Dötschen nicht! Beim Gedanken an die leckeren Pfingstküchle läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Wieso fragst du?« Asas ganze Aufmerksamkeit wurde von der brodelnden Flüssigkeit in Besitz genommen, die sie in einem schweren Kupferkessel über starkem Feuer erhitzte. Schon des öfteren hatte ich ihr bei der Zubereitung dieses speziellen Saftes zugesehen und wußte daher, daß dies nicht ganz ungefährlich war. Denn paßte man nur einen Augenblick nicht auf, konnte die ganze Brühe überkochen und auf den Boden laufen. Deshalb beschloß ich, still zu sein, bis der dicke,

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