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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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am Hals war er auch nicht viel stärker. Die Mutter schluchzte leise; wie alle Verwandten im Raum konnte sie unschwer erkennen, dass ihr Sohn mit dem Tode rang. »Als der andere Medicus den Stich genäht hat, da war mein Heiner noch wach. Das Bluten hat aufgehört, und wir haben gedacht, er überlebt es.« Sie konnte nicht mehr weitersprechen, ihr Mann übernahm. »Aber nach einiger Zeit ist der Bub immer blasser geworden, hat immer schwerer geatmet. Und als er dann bewußtlos geworden ist … « Auch ihm versagte die Stimme.
    Ich besah mir die Wunde mitten in seiner Brust. Der Einstich war nicht breit, und Hiltprand hatte ihn ordentlich mit einem dünnen, schwarzen Rosshaar genäht. Es war mir ein Rätsel, warum der junge Mann danach in Bewußtlosigkeit gefallen war. Die Blutung war doch gestillt! Ich warf einen Blick auf den Mund des Verletzten. Kein Blut. »Hatte er irgendwann blutigen Schaum am Mund?«, fragte ich.
    Die Eltern verneinten. Also konnte die Lunge nicht verletzt sein, bei Stichen in die Lunge kam beim Atmen immer blutiger Schaum. Das wäre noch die einzige Erklärung dafür gewesen, warum es dem Jungen jetzt so schlecht ging. Ich schloss die Augen. Überleg, befahl ich mir, denk nach! Warum atmet er schwer, wenn doch die Lunge nicht getroffen ist? Warum ist der Herzschlag kaum spürbar? Das Herz selber kann nicht verletzt sein, sonst wäre er längst tot. Ich wünschte mir, Onkel Jehuda wäre da.
    Und dann kam mir ein Gedanke. Was, wenn Hiltprands Naht die Blutung nur äußerlich zum Erliegen gebracht hatte? Wenn der Junge innerlich langsam weitergeblutet hatte? Ich war mir nicht sicher, aber etwas anderes fiel mir nicht ein. Ich musste einfach recht haben!
    »Ich möchte die Wunde noch einmal öffnen«, sagte ich zu den erschrockenen Eltern. »Es könnte sein, dass der Blutfluss innen nicht zum Stillstand gekommen ist. Wenn ich recht habe, dann hat sich eine Blase gebildet, die voll Blut ist. Die drückt auf die Lunge und lässt Euren Sohn immer schlechter atmen. Und auf das Herz, das seine schwere Arbeit bald nicht mehr tun kann.«
    Der Sternwirt und seine Frau sahen sich mit verzweifelten Mienen an. Dann nickten die beiden. Sie hatten begriffen, dass es die einzige Möglichkeit war.
    Ich nahm ein Messerchen aus meiner Arzttasche und schnitt die Rosshaarnaht auf. Der Junge lag immer noch totenblass da, seine Ohnmacht war bereits so tief, dass er nichts mehr spürte. Die Wunde klaffte sofort leicht auseinander, aber – es quoll kein Blut aus der Öffnung. Ich war ratlos. Der Sternwirt schüttelte den Kopf; seine Frau fing an, leise zu wimmern. Was konnte ich noch tun? Es gab keine andere Erklärung. Saß die Blutung noch tiefer, als ich angenommen hatte?
    Und dann wurde ich ganz ruhig. »Ich brauche ein dünnes Schilfrohr, oder den hohlen Zweig eines Hollerbusches«, sagte ich. Meine Stimme war fest, obwohl ich innerlich zitterte. Jemand rannte und brachte eines der langen Röhrchen, mit denen man zum Probieren den Wein aus den Fässern zog. Ich brach es auf die rechte Länge ab und nahm mir die Zeit, es mit Essigwasser zu säubern. Sauberkeit ist bei einer Operation immer oberstes Gebot, sonst führte der Schmutz leicht zu Entzündungen. Schon Maimonides hatte das geschrieben, und so hatte es mir Onkel Jehuda beigebracht.
    Und dann betete ich stumm, so, wie ich es von meinem Onkel gelernt hatte. »Ich schicke mich an, Adonai, zu meinem Berufe. Stehe mir bei, Allmächtiger, dass es mir gelinge, denn ohne deinen Beistand gelingt dem Menschen auch das Kleinste nicht.« Ganz langsam und vorsichtig führte ich das Röhrchen in die Stichwunde ein, immer tiefer, bis ich spürte, dass es nicht mehr weiterging. Nichts. Ich beugte mich hinunter, nahm das Ende zwischen die Lippen und sog. Ein kleiner Widerstand, und dann, es ging so schnell, hatte ich den ganzen Mund voll Blut. Ich spuckte aus, und der warme, rote Saft quoll durch das Röhrchen und über meine Hände, lief über die nackte Brust des Jungen und färbte das Leintuch. Es war so viel, dass ich es gar nicht glauben konnte, und ich war so erleichtert, dass ich das Aufseufzen der Verwandten, die mit angehaltenem Atem dabeigestanden hatten, gar nicht hörte. Noch bevor der Strom versiegte, konnte man schon sehen, wie sich der Brustkorb des Verletzten wieder deutlicher hob und senkte. Ich fühlte seinen Pulsschlag: schwach, aber doch stärker als vorher. Selten habe ich eineren tieferen Atemzug getan als in diesem Augenblick.
    Danke, Adonai, dachte

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