Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
mädchenhaften Zügen, heller Haut und rabenschwarzen Locken, der andere kräftig, blond, sonnengetönte Haut vom Üben mit nacktem Oberkörper, das Bild eines Ritters. Ciarans Bewegungen waren leicht, graziös, er hatte die Anmut eines Tänzers. Ezzo hingegen bewegte sich immer wie in einem Faustkampf, einen Fuß fest vor den anderen setzend, sicher, ruhig und selbstverständlich, so als könne ihn nichts umwerfen. Und dazu ich, eine junge Frau, die sich selber nicht besonders hübsch fand, mit kastanienfarbenem Haar und Augen in der Farbe dunklen Herbstlaubs. Eine Frau, die nicht wusste, wie es war, mit Männern zu tändeln. Eine Frau, die zwar schon zwei Ehemänner gehabt und mit ihnen das Schönste und das Schlimmste erlebt hatte, in sich aber dennoch eine Unschuld trug, die sie nicht sehen ließ, was doch so offensichtlich war …
Aber nicht nur Ezzo und Ciaran gewann ich lieb, auch die anderen Fahrenden. Sie waren so frei, so ungezwungen! Alle verstanden sich untereinander prächtig. Nur einer passte nicht recht hinein – Hiltprand. Er hielt sich immer ein wenig abseits von den anderen, redete nicht viel, war mit keinem näher befreundet. Wie alle hielt er sich an die Abmachung der Truppe, drei Viertel des eingenommenen Geldes an Pirlo abzugeben. Von diesem Gemeinschaftsgeld wurden die täglichen Ausgaben für Essen und Trinken bestritten und alles gekauft, was sonst noch von der ganzen Truppe gebraucht und benutzt wurde. Auch ich entrichtete meinen Obolus an Pirlo, für jede Woche ein paar Pfennige. Noch hatte ich ein bisschen von dem Geld übrig, das mir Onkel Jehuda in den Sack getan hatte, aber für sehr lange würde es nicht mehr reichen. Ich wusste, dass meine Zeit bei den Fahrenden begrenzt war.
Irgendwann Ende September erreichten wir Koblenz, die alte Stadt am Zusammenfluss von Rhein und Mosel. Ich wusste, dass auch hier eine kleine jüdische Gemeinde lebte, aber ich versuchte so gut es ging, mir gar keine großen Hoffnungen zu machen – viele Enttäuschungen, so spürte ich, würde ich nicht mehr aushalten. Trotzdem machte ich mich gleich auf den Weg in die Judengasse zum Rabbi. Und wie erwartet, hatte auch hier niemand meine Familie gesehen. Ich verlor alle Zuversicht. Was, wenn sie nach Norden gezogen waren? Oder nach Osten? Ich konnte sie doch nicht im ganzen Reich suchen! Mir wurde immer stärker bewusst, dass ich irgendwann einmal mit der Suche aufhören musste, dass ich mich als Ärztin niederlassen sollte, sobald sich die Gelegenheit bot. Von irgendetwas musste ich schließlich leben, wenn mein Geld zu Ende war.
So fragte ich zu Koblenz das erste Mal, ob man hier eine Ärztin brauchen könnte. Der Mann, dem ich die Frage stellte, ein gutmütiger, dicker Weinhändler, starrte mich entgeistert an: »Ihr meint – Ihr? Eine Frau?«
»Zu München habe ich als Medica gearbeitet«, sagte ich die halbe Wahrheit.
Der Weinhändler hob erstaunt die Augenbrauen, dann schüttelte er den Kopf. »Wir haben schon einen Stadtarzt«, erwiderte er. »Der ist grad nach Bacharach, um dort seine Tochter zu verheiraten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Stadt einen zweiten Arzt zulassen würde … «
Ja, so groß war Koblenz mit seinen vielleicht tausend Einwohnern nicht, das verstand ich. Wieder um eine Enttäuschung reicher, kehrte ich zu den Spielleuten zurück, die inzwischen das Lager auf einem Platz zwischen zwei Häusern am Moselufer aufgeschlagen hatten. Um mich von meinen schwarzen Gedanken abzulenken, half ich Janka, die alle möglichen Sachen für die Schauspieler vorbereitete. Wir befüllten für die Kampfszenen kleine Darmblasen mit dem Blut eines geschlachteten Hasen, der am Abend gebraten werden sollte, pinselten frisches Bleiweiß auf Finus’ Gesichtsmaske, mit der er beim Rosengartenspiel die Kriemhild verkörperte, nähten die aufgeplatzte Naht am rosa Hautkostüm von Frau Wollust wieder zu. Es war jedes Mal ein herrlicher Anblick, wenn Ciaran, ganz in das rosa Leder gekleidet, als nackte Frau auftrat, Brüste, Hüften und Hinterbacken wie Säcke angenäht und mit zusammengeknüllten Lumpen ausgestopft. Als Frau Wollust stritt er sich vor Gericht – Pirlo war der gestrenge Richter – mit Finus als Frau Tugend über Sünde und Anstand. Der »Gerichtsstreit« war eines der Lieblingsstücke der Leute, und ich hatte es bestimmt schon zehn Mal gesehen.
Janka brachte es fertig, mich mit ihrer gütigen, klugen Art wieder aufzumuntern. Ich bat sie, mir doch noch einmal die Karten zu
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