Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
legen, aber sie lehnte mit ernster Miene ab. »Das ist kein Spiel, das man nach Belieben betreiben kann, Kindchen«, sagte sie. »Du kannst die Karten nicht alle Tage befragen und glauben, irgendwann sagen sie dir schon das, was du hören willst.« Und so oft ich auch bat, auch später – niemals mehr legte sie die Karten für mich. Wie hätte ich damals ahnen können, warum? Erst im Nachhinein, nach langer Zeit, sollte mir klar werden, dass sie sich nur deshalb so beharrlich weigerte, weil sie fürchtete, ihre erste, düstere Prophezeiung könne sich bestätigen.
Später ging ich hinüber zu Ezzo und Finus, die gerade eine neue Schnurre probten. » Und find ich dann das Blumelin, so müsset Ihr min Buhle sin« , schmetterte Ezzo, während Finus mit hochmütigem Gesicht dastand und die Herzogin von Österreich verkörperte. Ezzo fiel auf die Knie: »Gnade, edele Herzochin, eur steter Diener ich will sin, stet bis an mein Ende.« Ich sah den beiden eine Weile zu.
»Huh«, machte plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und blickte in ein grinsendes Rüsselgesicht. Es war Schwärzel, der seine neue Schweinemaske aufprobierte, in der er den Teufel in dem Stück »Das alte Weib und der Teufel kämpfen um einen Schatz« spielte. Die letzte Maske war kaputtgegangen, weil das alte Weib den Teufel am Ende gar zu arg verprügelt hatte. Ich tat erschrocken und zog Schwärzel zur Strafe am Bart. Ja, inzwischen konnte ich sogar über Schweine lachen, auch wenn ich sie immer noch nicht essen mochte.
Auf der Wagenbühne hatte Hiltprand inzwischen seinen Behandlungsstuhl aufgestellt, und es waren auch schon eine ganze Reihe von Leuten da. Ich sah lieber nicht genauer hin. Ich wollte gar nicht wissen, wem er gerade wieder ein Fußsohlenpflaster aus Kren und Mäusekötteln gegen die Wassersucht auflegte. Stattdessen ging ich mit Ada zum Wasserholen.
Als wir mit dem großen Schaff, das man zu zweit tragen musste, vom Brunnen zurückkehrten, herrschte im Lager große Aufregung. Ein paar Leute zerrten Hiltprand unsanft von dem Patienten fort, den er gerade behandelte. Ich schnappte ein paar Worte auf: »Messerstich«, rief einer, »Blut«, ein anderer. Wie sich später herausstellen sollte, hatte der jüngste Sohn des Sternwirts sich mit einem Zechpreller angelegt, der ihm im Streit ein langes, spitzes Messer in die Brust gerammt hatte.
Hiltprand kehrte nach nicht allzu langer Zeit zurück und aß ungerührt mit uns zu Abend. Als ihn Gutlind fragte, was denn gewesen sei, zuckte er mit den Schultern. »Hab den Kerl zugenäht, der wird schon wieder«, erklärte er mit vollen Backen. Ich dachte mir nicht viel dabei. Raufhändel mit Messern waren an der Tagesordnung, zu München hatten ich und Onkel Jehuda eine Unmenge Stichwunden verarztet.
Wir saßen noch in kleinen Grüppchen um das Feuer, als plötzlich eine alte Magd herbeihastete und sich suchend umsah. »Wo ist der Meister Koromander?«, fragte sie schwer atmend. Wir sahen uns um, Hiltprand war schon vor einiger Zeit weggegangen. Finus ging ihn suchen und fand den Quacksalber schließlich betrunken schnarchend unter seinem Wagen. Das hatte ich schon vermutet; wir alle wussten, dass Hiltprand die Abende nach dem Essen meist alleine mit seinem Weinkrug verbrachte. Die Alte rang die Hände. »Ogottogott!«, jammerte sie, »Und der arme Heiner stirbt! Ach du lieber Herr Jesus!«
»Was hat er denn, der Heiner?«, fragte ich. Immer noch fand ich es abwegig, dass jemand ausgerechnet, wenn es ums Sterben ging, einen Gott um Hilfe bat, der selber tot und bleich an einem Holzkreuz hing.
»Na«, greinte die Magd, »der Messerstich doch! Euer Medicus hat ihn zugenäht, dass er nicht mehr blutet, und hat gesagt, das wird schon wieder. Aber seitdem schnauft er immer schwerer, und wird bleicher und bleicher. Er stirbt uns noch weg … «
In diesem Augenblick traf ich eine Entscheidung. »Ich bin Ärztin«, sagte ich. »Bringt mich hin!«. Eilig holte ich meine Arzttasche aus dem Zelt und folgte ihr dann zum Sternwirtshaus.
In einer Kammer unter dem Dach lag der Verletzte totenfahl und mit geschlossenen Augen da. Nachdem ich den misstrauischen Eltern und Verwandten erklärt hatte, dass ich Medica war, und aus blanker Not heraus, ließen sie mich schließlich ans Bett des Jungen.
Er war nicht ansprechbar. Seine Brust hob und senkte sich so flach, dass man es fast nicht sehen konnte, der Atem ging schnell und mühsam. Am Handgelenk konnte ich seinen Pulsschlag kaum spüren,
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