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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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sie geht!«
    Gutlind blies die Backen auf und schüttelte den Kopf. »Sei vernünftig, Hiltprand. Ich hab mir das heute Vormittag angesehen. Es waren fast nur Frauen, die Sannas Hilfe in Anspruch genommen haben. Schau, als Frau vertraut man sich nun einmal lieber einer Ärztin an als einem Arzt. Besonders, wenn es um Weibersachen geht. Und von denen hast du sowieso keine Ahnung, gib’s zu. Also wie wäre es, wenn du in Zukunft die Männer behandelst und Sanna die Frauen? Ihr könntet es doch versuchen. Dann sehen wir weiter.«
    Es war die längste Rede, die ich je von Gutlind gehört hatte. Die anderen nickten beifällig. »Genau«, sagte Schwärzel, »versucht es. Zwei verdienen mehr Geld als einer. Und wir haben alle was davon.«
    »Ihr könnt mich alle mal«, tobte Hiltprand. »Da mach ich nicht mit.«
    »Lasst uns abstimmen«, rief Ciaran. »Wer ist für Gutlinds Vorschlag?«
    Alle hoben die Hand. Ich war so erleichtert, dass ich am liebsten Schnuck umarmt hätte, der neben mir stand. Hiltprand starrte die anderen böse an. »Treuloses Pack«, geiferte er. »Das ist euer Dank dafür, dass ich für euch gutes Geld hereingeholt hab, Tag für Tag. Da kommt eine dahergelaufene Kuh, und ihr schickt mich dafür zum Teufel! Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt, ihr und eure ganze beschissene Bande!«
    Damit drehte er sich um und stürmte davon. Vorher hatte er mir noch einen Blick zugeworfen, der nichts Gutes verhieß.

    Dennoch war ich glücklich. Nicht nur, weil die anderen mir vertrauten und zu mir gehalten hatten. Nein, das Wichtigste war: Ich durfte wieder heilen! Noch während der Nachmittagsvorstellung lief ich zum Apotheker – Gott sei Dank gab es einen in der Stadt – und kaufte von Onkel Jehudas letztem Geld die wichtigsten Kräuter, Salben und Tinkturen. Außerdem diejenigen Mittel, die bei den häufigsten Frauenleiden halfen: Weißblühende Melisse und Beifuß gegen den Weißen Fluss, Hirtentäschelkraut gegen zu starke Blutungen, Ritterspornsamen zum Austreiben der abgestorbenen Frucht. Dann Anis, Mutterkraut und Wollkraut für das unerwünschte Ausbleiben der Rosen, Sellerie und Betonie für zu starken Blutfluss nach der Geburt und Rainfarn gegen Schmerzen der Mutter. Am Schluss nahm ich noch eine Handvoll Goldwurz mit, die den Kleinsten beim Zahnen die Schmerzen lindert – ich dachte mir, die Frauen würden vielleicht auch ihre Kinder zu mir bringen. Mit diesem Schatz lief ich stolz und frohgemut heim. Hiltprand, so dachte ich, würde sich mit der Zeit schon an die neue Regelung gewöhnen.

St. Goar, Oktober 1414
    Die Fahrenden zogen langsam immer weiter den Rhein aufwärts. Über Lahnstein gelangten sie nach Braubach, einem geschäftigen, lebhaften Städtchen. Hier wurden seit Urzeiten Blei und Silber gefördert, stetige Quelle des Reichtums für die Grafen von Katzenellenbogen, die gerade auf der Burg über der Stadt Rechnung hörten. Graf Johann, der Landesherr, war ein Liebhaber des Theaterspiels, und so blieb Pirlos Truppe eine ganze Zeit, um ihren gesamten Fundus an Stücken darzubieten. Sara ging Hiltprand so gut es möglich war aus dem Weg und hielt sich strikt daran, nur Frauen zu behandeln. Der Quacksalber schien sich tatsächlich dem Willen der Gruppe zu fügen, zumindest sprach er die Streitsache nicht mehr an und hielt sich abseits. Sie hätte ihn gern gefragt, wie viel Geld er für die eine oder andere Behandlung nahm, aber sie wagte es nicht. Hauptsache, er ließ sie in Ruhe.
    Bei der Abfahrt aus Braubach begann es, zu regnen. Tropfen hämmerten auf die Dächer, klopften an Butzenscheiben, platzten im Staub der Gassen. Alles ging über in lautes Rauschen, Pfützen bildeten sich, Bäche gruben sich durch den Boden und züngelten von Haus zu Haus. Außerhalb der Stadt ging der Wolkenbruch in leisen Dauerregen über, der Himmel und Erde grau färbte und alle Konturen verschwimmen ließ. Es hörte einfach nicht mehr auf. Das Wasser drang überallhin, durch die Kleider, die Zelte, alles wurde nass und klamm. Zum ersten Mal erlebte Sara die Nachteile des fahrenden Lebens. Im Regen zog man herum, im Regen schlug man das Lager auf, im Regen wurde gegessen, geübt und gearbeitet. Es war Gott sei Dank noch nicht kalt, aber Sara bekam einen Vorgeschmack darauf, wie es im Winter sein würde. Sie fühlte sich lustlos und niedergeschlagen, genau wie die anderen. Zum ersten Mal fiel ihr die Armut der Landbevölkerung auf, wenn sie an Höfen und Dörfern vorbeizogen, an niedrigen, strohgedeckten

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