Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
davon erfuhr? Sie seufzte. Irgendwann nachdem die Turmuhr Mitternacht geschlagen hatte, schlief sie mit ihrer Enttäuschung ein. Und mit dem Entschluss, sich Ezzo gegenüber in Zukunft freundlich, aber gleichgültig zu verhalten. Es war ohnehin besser so.
Burg Pfalzgrafenstein, Anfang November 1414
Pirlos Truppe zog nun an der engsten und tiefsten Stelle des schiffbaren Flusses entlang, der hier einen großen Bogen beschrieb. Die Wasser tanzten schäumend über Klippen und Riffe, schossen an steinigen Ufern vorbei, kreisten ein zu wirbelnden Strudeln, die schon so manchen Schiffer hinabgezogen hatten. Deshalb hatte sich hier auch vor Zeiten der heilige Goar niedergelassen, um Schiffbrüchige zu retten und zu pflegen. Ein hoher Schieferfelsen erhob sich am östlichen Ufer, der Lurlei genannt. In seinen Höhlen hausten Zwerge, wie Pirlo erzählte, der schon öfter hier gewesen war. Er tat einen Juchzer, und wie durch ein Wunder wiederholte sich der laute Ton sieben Mal – das war das Werk der Kleinwüchsigen, die sich daraus einen Spaß machten. Sie erzeugten auch das laute Rauschen, das weithin zu hören war. Manchmal, so hieß es, saß auf dem Gipfel eine wunderschöne Nix und hielt hoch über den Fluten des Rheins Ausschau nach einem Bräutigam. Nur der konnte sie sehen, den sie auserwählt hatte. Und der nahm ihr Bild mit ins nasse Grab.
Zu Oberwesel kaufte sich Sara hundslederne Handschuhe, Mütze und Winterkleid, denn es wurde empfindlich kalt. Der Herbst verging schnell, und schon stand der Winter vor den Toren. Die Bäume reckten ihre Äste unbelaubt gen Himmel, Störche, Schwalben und Singvögel waren lang schon nach Süden gezogen. Die Ernte, in diesem Jahr keine besonders gute, war seit Wochen eingebracht. Das Land ruhte, es gab kein Grün mehr, keine Weide für das Vieh. Entbehrungsreiche Monate lagen vor den Menschen: Kein frisches Gemüse mehr zu essen, nur noch getrocknete Linsen, Erbsen, Bohnen und das alltägliche Kraut. Kälte, Schnee und Eis mussten ertragen werden, Wind und Sturm. Ach, wäre nur schon wieder Mai!
Sie zogen langsam weiter, solange es das Wetter noch erlaubte. Am Morgen, wenn die Kälte der Nacht noch auf den Feldern lag, machte der Frost sie zu atemrauchenden Geistern. Sara hatte ihre Schuhe mit Lumpen umwickelt und trug um die Schultern ein Wolfsfell, das Schwärzel ihr geschenkt hatte. Sie hatte den großen Fluss immer als einen Freund betrachtet, die funkelnden Wellen, die grünen Ufer, die Hänge, auf denen Wein und Obstbäume wuchsen. Jetzt hatte der Rhein nichts Liebliches mehr, er wirkte grau, düster und bedrohlich. Nebel hockte auf dem Wasser, den ganzen Tag war es trüb und diesig, manchmal sah man vor lauter Dunst den Wagen vor einem nicht mehr. So erreichten sie den Ort Kaub, reich geworden durch seine Weinberge, den Abbau von Schiefer und die ergiebigen Rheinzölle. Hier herrschten die Pfalzgrafen bei Rhein und zeigten ihre kurfürstliche Macht gleich mit zwei wehrhaften Burgen: Von oberhalb der Stadt her drohte die Festung Gutenfels, und unten, mitten auf einer kleinen Flussinsel, lag wie ein steinernes Schiff, das auf dem Rhein schwamm, die neuere Burg Pfalzgrafenstein.
Der Rat der Stadt erlaubte den Fahrenden nicht, auf dem Marktplatz zu lagern, aber Pirlo gelang es irgendwie, den Kommandanten der Zollwache dazu zu bewegen, die Truppe in den Hof der Inselburg zu lassen. Landesherr und Vogt waren nicht in der Stadt, und Pfalzgrafenstein beherbergte derzeit nur eine kleine Besatzung, da die Rheinschifffahrt um diese Jahreszeit kaum der Rede wert war. So schlugen sie ihre Zelte wohlgeschützt durch die sechseckige Ringmauer auf harten Pflastersteinen auf. Und weil die Wachmannschaft der Burg herzlich froh über die Abwechslung war, durften sie auch dort im Schatten des hohen Fünfeckturms auftreten. Sie entschieden sich für ein Kampfspiel, an dem die Wachen begeistert teilnahmen. Am Schluss ließ Ezzo den Kommandanten gewinnen, obwohl der während des Kampfes kaum Augen für seinen Gegner als vielmehr für Gutlind gehabt hatte, die am Rande zusah.
Auch Ezzo war unkonzentriert gewesen und hatte schlampig agiert. Seine Laune war schlecht, hatte er doch fest damit gerechnet, zu Kaub den Pfalzgrafen treffen zu können. Schon auf Rheinfels hatte er nichts ausrichten können, weil sich nach seiner Verletzung keine Gelegenheit mehr gefunden hatte, mit den anwesenden Adeligen zu sprechen. Und jetzt fehlte ihm auch noch der wichtige Pfalzgraf, den er unbedingt hatte von
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