Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Eltern, die Schande … «
Sara schloss die Augen. Was war schlimmer, ein uneheliches Kind oder ein Leben als Krüppel? Das Mädchen tat ihr unendlich leid. Wie verzweifelt musste sie gewesen sein! »Bärbel«, sagte sie, »ich kann nicht viel gegen das Gift tun. Du wirst das Zucken und die Schmerzen noch lang aushalten müssen, es geht erst mit der Zeit weg. Aber deine Arme und Beine – du wirst sie wohl nie wieder so benutzen können wie früher.«
Das Mädchen weinte. »O bitte, bitte, sagt es niemandem«, wimmerte sie.
Sara nickte und winkte die Leute wieder her. »Eure Bärbel hat Brot gegessen, in das der Wolfszahn hineingemahlen war. Das ist ein giftiges Korn am Roggen, Menschen können daran sterben.«
»Das Antoniusfeuer«, murmelte die Mutter entsetzt und bekreuzigte sich. »Also ist es kein Teufel, von dem sie besessen ist?«, fragte sie mit großen Augen.
»Nein, es ist eine Vergiftung. Eure Tochter muss jetzt viel trinken, damit das Gift wieder aus ihrem Körper herausgespült wird. Ich kann sie auch noch zur Ader lassen, das hilft. Und dann geht ihr zum Apotheker und kauft Wegerich. Den kocht ihr in Wein, davon muss sie in den nächsten drei Tagen stündlich einen Becher trinken. Außerdem macht ihr davon kühle Umschläge auf Arme und Beine. Ganz gesund wird sie wohl nie mehr, aber das Zucken und der Schmerz werden bald verschwinden.«
Die Mutter der Kranken ließ den Kopf hängen. Es war keine gute Nachricht, aber wenigstens kein Todesurteil. Und dann, noch ehe Sara es verhindern konnte, lief die Bürgersfrau voll Zorn und Verzweiflung zu Hiltprand hinüber. »Gebt mir mein Geld zurück«, rief sie. »Quacksalber! Sterben hätte sie können, meine Bärbel! Die andere dort drüben, die weiß, welche Krankheit sie hat! Sofort will ich meinen Viertelgulden wiederhaben!«
Die Leute begannen schon, aufmerksam zu werden. Hiltprand wurde ganz weiß im Gesicht. Er griff in seine Tasche und zog eine Münze hervor. »Hier, Weib, und nun schweigt still!«
Dann sah er zu Sara hinüber, die dem kranken Mädchen gerade in die Ader schlug. Seine Kiefer mahlten. Das Maß war voll.
Am Abend saßen die Fahrenden bei Brot und Erbsenmus zusammen. Gutlind hatte den Kommandanten inzwischen so weit um den Finger gewickelt, dass er ihnen erlaubte, sich tagsüber in den leeren Stallungen aufzuhalten. Und er hatte Genehmigung erteilt, dass die Truppe noch eine Woche bleiben durfte. Die Stimmung war deshalb gut, alle lachten und redeten; sogar Zephael, der traurige Elefantenmensch, sang ein paar Liedchen zur Begleitung der Zigeuner mit. Sara ging herum und teilte zur Feier des Tages an jeden ein Stückchen Konfekt aus, das sie in der Apotheke gekauft hatte: Nussmarzipan mit einer kandierten Kirsche obenauf, ein sündhaft teures Naschwerk. Sie setzte sich einen Augenblick zu Meli, dem kleinen Schlangenmädchen, und ließ sich verblüfft zeigen, wie weit das Mädchen die Finger nach hinten verbiegen konnte.
Darauf hatte Hiltprand gewartet. Wie zufällig schlenderte er dort vorbei, wo Sara gesessen hatte, kniete sich hin und tat so, als ob er an seinen Schnürstiefeln nestelte. Ein schneller Blick in die Runde – keiner gab acht. Sara unterhielt sich immer noch mit dem Zigeunerkind. Blitzschnell zog Hiltprand ein kleines Fläschchen aus dem Schaft seines linken Stiefels und schüttete es in Saras halb vollen Becher, der auf dem Boden stand. Dann versteckte er das Fläschchen wieder im Schuh, stand auf und ging weiter. Unauffällig verließ er den Marstall. Draußen war kein Mensch, nur eine stummelschwänzige Katze streunte um die Wagen und Zelte; ihre Augen leuchteten gelb im fahlen Schein des Mondlichts. Die Wachmannschaft war um diese Zeit bis auf den Türmer schon schlafen gegangen. Hiltprand überquerte den nächtlichen Hof, um etwas abseits vom Lager sein Wasser abzuschlagen. Zufrieden schloss er den Hosenlatz und stopfte sein Hemd in den Gürtel. Die Sache würde bald ausgestanden sein.
»Ei, Meister Koromander, trinkt einen Schluck mit mir!«
Hiltprand erschrak und drehte sich um. Vor ihm stand Ezzo, ein Henkelkrüglein voll Wein in der Hand. Hiltprand sah ihn unbehaglich an. Er runzelte kurz die Stirn, dann lächelte er und breitete die Arme aus. »Ich hab leider nichts zum Anstoßen, mein Freund.«
Aus dem Schatten trat eine weitere Gestalt. Ciaran. Er hielt dem Quacksalber einen Becher hin. »Doch, Hiltprand, das hast du«, sagte er freundlich.
Hiltprand wollte schon nach dem Becher greifen, als seine
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