Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Diebe an, und die Stadt wollte jedem Neuankömmling deutlich machen, dass mit Verbrechern keine Nachsicht geübt wurde. Pirlo schnappte sich Finus und deutete auf die frisch abgeschlagenen Diebeshände. »Damit du gleich weißt, was los ist«, warnte er. »Denk gar nicht erst dran, irgendwas zu klauen!«
Sie beschlossen, es ein Tor weiter zu versuchen. Doch auch hier, beim Paradiestor, war kein Durchkommen, und vor dem Geltingertor stampften und muhten dreihundert Rinder aus Böhmen, die in die Stadt getrieben werden sollten. Außerdem blockierte ein umfangreiches Lager die Zufahrt, das sich, wie sie hörten, das italienische Gesinde des Papstes und die Knechte des österreichisch-tirolischen Adels teilten. Sie passierten die Richtstatt, einen mehrschläfrigen Galgen, an dem zwei Plätze belegt waren. »Schau nicht hin«, sagte Ciaran zu Sara, als sie dicht an den Gehenkten vorbeifuhren, »es ist kein schöner Anblick.« Sie tat ihm den Gefallen, obwohl ihr als Ärztin der Anblick von Leichen nicht ungewohnt war und sie nicht schreckte. Endlich, am Schnetztor, war weniger Betrieb, und sie reihten sich in die wartende Menge ein.
»Wir sind Fahrende, Herr, und kommen von weit her. Sehr berühmte Gaukler, Musikanten, Schauspieler, Tierbändiger und eine Medica«, meldete Pirlo dem Torwart. Der machte eine unmissverständliche Handbewegung. »In die Stadt kommt ihr nicht hinein«, schnarrte er. »Da sind schon zu viele von eurer Sorte. Wenn’s denn sein muss, könnt Ihr drüben lagern, dort, hinter den Hundsställen.«
Also schlugen sie ihr Lager hinter dem Zwinger für die Jagdhunde des Königshofes auf, eine muntere Meute, die sofort aufgeregt Schwärzels Tanzbären verbellte. Schwärzel fluchte und stellte den Bärenkäfig so auf, dass Hunde die vergitterte Öffnung nicht sehen konnten. Kurz darauf kam einer der Stadtschreiber vorbei, der vom Torwart benachrichtigt worden war. Er trug ein Hängepult vor dem Bauch und stellte der Truppe die Genehmigung aus, in der Stadt aufzutreten. »Ich höre, Ihr habt einen Wanderarzt bei Euch?«, fragte er am Ende.
Sara trat vor. »Das bin ich, Herr.«
Der Schreiber zog amüsiert eine Braue hoch. »Ein Weib? Ei meinetwegen, mir soll’s recht sein. Ärzte sind hier hochwillkommen, also wenn Ihr wollt, könnt Ihr mit Eurem Wagen einfahren. Ach ja, und wie ich sehe, ist unter euch auch eine Hübschlerin?« Er musterte Gutlind ungeniert, sie war ja an ihrer roten Kleidung gleich zu erkennen. »Die kann auch einfahren«, meinte der Schreiber gut gelaunt. »Bei der weibstollen Pfaffheit in der Stadt sind wir dankbar für jeden Rock, der sich freiwillig hebt. Sonst müssen die Bürgerstöchter herhalten, und wir haben hinterher jede Menge Pfaffenbälger in der Stadt!« Er stellte für Sara und Gutlind zwei Passierscheine aus und siegelte sie. »Meldet euch bei Lütfried Möttel im Haus zur Waage. Er ist dem Stadtmarschall Bodman unterstellt und wird euch einen Platz zuweisen, wo ihr bleiben könnt. Wünsche fröhlichen Aufenthalt.« Und fort war er.
Sara war nicht froh darüber, von den anderen getrennt zu sein, aber sie brauchte den Wagen in der Stadt für die Krankenbehandlung. Und für Gutlind war ein Standort innerhalb der Mauern unbedingt notwendig, denn sonst konnte nachts bei geschlossenen Toren kein Freier zu ihr gelangen. Also beschlossen sie, sich eine Bleibe in Konstanz zu suchen. Voller Erwartung fuhren sie durch das Schnetztor in die Stadt ein – dasselbe Tor, durch das vor wenigen Wochen mit Pomp, Glanz und Gloria auch der Papst gekommen war.
Die Stadt erschien ihnen wie ein riesiger Ameisenhaufen, zum Bersten voll. Menschen, überall Menschen, die sich drängten und zwängten. Und Schmutz! In den ungepflasterten Gassen stand die Gosse fast knietief, an den Häusern entlang hatte man zuweilen hölzerne Stege gezimmert oder kleine Dämme aufgeschüttet. Mit den Wagen war fast kein Durchkommen, die Pferde sanken bis weit über die Fesseln im Schlamm ein. Abdecker waren unterwegs, um tote Ratten, Hunde und Katzen einzusammeln. Ganze Heerscharen von Kehrichtbauern aus dem Umland durchkämmten jeden Tag die Stadt, um Kot und Abfälle einzusammeln und die übervollen Sickergruben zu leeren. Gott sei Dank ist Winter, dachte Sara, sonst wäre alles schwarz von Fliegen. Sie und Gutlind reihten sich ein in die Menge, die durch die Gassen strömte. Anwälte und Geistliche in ihren Talaren, die Röcke hochgerafft und dennoch am Saum voller Matsch. Vornehm gekleidete Junker
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