Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Nadelkleid gebacken recht gut schmeckte. Ezzo und Finus zogen täglich mit Pfeil und Bogen los und brachten, wenn sie Glück hatten, einen Hasen heim, manchmal auch den ein oder anderen Vogel, aber größeres Wild wagten sie nicht zu schießen – das war Herrenrecht, und auf Verstöße stand der Tod. Janka verstand es zwar, aus nichts eine Suppe zu kochen, aber als sie den Neckar erreichten, knurrten ihnen die Mägen so arg, dass die Truppe beschloss, eine ihrer braven Milchziegen zu opfern. Alle fieberten dem Ende der Reise entgegen, wo es endlich besser werden sollte.
Sara focht das alles nicht an. Sie war glücklich mit Ciaran, auch wenn sie dabei einen leeren Magen hatte. Selbst die Tatsache, dass weder die uralte jüdische Gemeinde von Worms noch die von Speyer ihr auf der Suche nach ihrer Familie hatten helfen können, machte sie nur für kurze Zeit traurig. Ciaran las ihr jeden Wunsch von den Augen ab, und ganz gegen seine alte Gewohnheit würdigte er andere Frauen und Mädchen keines Blickes. Die beiden lebten seit Kaub in ihrer eigenen Welt, kreisten umeinander wie zwei Gestirne, die sich gegenseitig anzogen.
Ezzo hielt sich meist fern von ihnen. Es machte ihm zu schaffen, der vertrauten Zweisamkeit zuzusehen, auch wenn er es vor sich selbst nicht zugeben wollte. Mit aller Macht richtete er seine Gedanken auf etwas anderes: Konstanz. Denn inzwischen hatte sich herumgesprochen, dass Sigismund in Aachen endlich zum König des deutschen Reichs gekrönt worden war – und Barbara zur Königin. Das hohe Paar weilte, so erzählte man sich, bereits seit Weihnachten in der Konzilsstadt. Und so setzte Ezzo all seine Hoffnungen und Wünsche auf ein Zusammentreffen mit Barbara von Cilli. Wie lange hatte er sie nicht mehr gesehen! Er stellte sich ihr Gesicht vor, ihren schlanken, weißen Körper, dachte an die schicksalhafte Nacht, in der sie sich geliebt hatten. Er rief sich den Klang ihrer Stimme in Erinnerung und den Duft ihres Haars. Vor dem alles überstrahlenden Bild der Königin und der Aussicht, sie in Konstanz zu treffen, erschienen ihm seine Gefühle für Sara plötzlich wieder klein und unwichtig. Er würde die Frau wiedersehen, der all sein Streben galt! Nur das zählte.
Nach über zwei Monaten erreichten sie den Bodensee, auch wenn sie die riesige Wasserfläche zu Anfang gar nicht sahen. Die ganze Gegend lag in Dunst und dickem Nebel verborgen, manchmal waren sie froh, überhaupt den Weg erkennen zu können. Immer mehr Reisende hatten sie in den letzten beiden Wochen auf ihrem Weg getroffen, als strömten alle dem Mittelpunkt der Welt zu. Gruppen von Schreibern und Juristen, Nonnen und Mönche, die den Papst sehen wollten, Kaufleute mit ihren Waren, Bauern, die mit Käselaiben oder Speckseiten beladene Esel vorantrieben, Weiber, die Käfige mit lebenden Hühnern auf dem Rücken trugen, und Knechte, die feist gemästete Ochsen nach Konstanz trieben. Einmal überholte sie ein vornehmer Tross, man flüsterte ehrfurchtsvoll, das sei der berühmte Kanzler der französischen Universität Sorbonne gewesen, womöglich hätte sogar der Papst Benedikt höchstselbst mit im Wagen gesessen.
Aufregung und freudige Erwartung ergriffen die Fahrenden, je näher sie ihrem Ziel kamen. Sie zogen eine kurze Strecke den südlichen Finger des Sees entlang, setzten zu Steckborn mit einer Fähre für teures Geld über den Rhein. Und endlich, endlich, tauchte aus dem diesigen, weißen Gedämpf die Silhouette der Stadt auf, ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, ragten die hohen Mauern vor ihnen himmelwärts.
Sie ritten am abgeriegelten Gelände des Schottenklosters entlang, nur um festzustellen, dass beim Schottentor kein Durchkommen war. Dort wartete schon eine riesige Menschenschlange, um einer nach dem andern durchgelassen zu werden; vor dem Tor standen kunterbunt durcheinander Zelte oder behelfsmäßig zusammengezimmerte Unterkünfte. Menschen kochten im Freien, überall qualmten die Feuer. Hämmern, Sägen und anderer Handwerkslärm hallten laut in den Ohren. In großen Pferchen aus Weidengeflecht hielt man Herden von Ziegen, Schweinen und Schafen, dazwischen lagen Latrinen, auf denen die Menschen ganz offen ihr Geschäft verrichteten. Der Geruch war unbeschreiblich. Über dem Eingangstor in die Stadt hatte man zwei roh behauene Bretter angebracht, daran hingen, mit langen Nägeln befestigt, bald ein Dutzend abgehackte Hände. Sara verstand die Botschaft. Ein solch großartiges Ereignis wie das Konzil zog natürlich auch
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