Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
die Christenheit nicht mehr einen Papst, sondern zwei. Einer sitzt in Frankreich, in Avignon, der andere in Rom. Beide behaupten, sie seien rechtmäßig gewählt. Und seit einiger Zeit haben wir nicht mehr nur zwei, sondern sogar drei Päpste: Gregor in Rom, Johannes in Pisa und Benedikt, der in Frankreich sitzt, oder in Spanien, das weiß ich nicht so genau.«
Finus riss ungläubig die Augen auf. »Aber welcher Papst gilt denn nun?«
»Das ist genau die Frage, Kleiner«, sagte Ciaran. »Der König will auf diesem Konzil in Konstanz entscheiden, wer der echte Papst ist. Und weil er das nicht allein entscheiden kann, kommen von überall her Bischöfe, Fürsten und Gelehrte, um darüber zu diskutieren.«
Pirlo nickte bedächtig. »Du hast recht, Ciaran, da müssen wir hin! Es mögen bestimmt tausende Leute sein, die dort zusammenkommen – die brauchen Unterhaltung, Tanz und Musik!«
»Und Weiber!«, krähte Gutlind vergnügt. »Wenn nur recht viele Pfaffen mit dabei sind!«
»Ich hör schon die Dukaten klimpern«, freute sich Schwärzel und tätschelte Rutliese die rosige Hinterbacke. Das Schwein quiekte fröhlich, als hätte es alles verstanden.
»Meint ihr, wir kriegen dort den Papst zu sehen, oder den König?« Ada war schon ganz aufgeregt.
Ciaran zwinkerte. »Wenn wir Glück haben, wer weiß? Jedenfalls wird alles in Konstanz versammelt sein, was Rang und Namen hat.«
»Und da dürfen wir nicht fehlen, was, Schnuck?« Schwärzel schlug dem Seiltänzer so überschwänglich auf die Schulter, dass der nach vorn stolperte. »Wie lang brauchen wir bis an den Bodensee?«
Pirlo überschlug die Zahl der Tagereisen. »Vielleicht sechs bis acht Wochen, je nachdem wie das Wetter mitspielt.« Er klatschte in die Hände. »Kinderchen, wir packen zusammen. Morgen in aller Frühe geht’s los!«
Ich war froh, dass es weiterging und freute mich auf unser neues Ziel. Wie die anderen begann ich, meine Sachen herzurichten. Am Abend gab es noch einmal ein üppiges Nachtmahl – Schwärzel war zur Feier unseres Aufbruchs auf die Fleischbank gegangen und mit einem halben Lamm zurückgekehrt, aus dem Janka mit Linsen und Saubohnen einen wunderbaren Eintopf zauberte. Die Zigeuner holten noch einmal Fiedel, Krummholz und Schellen heraus. Dann gingen wir früh zu Bett.
In dieser Nacht liebten wir uns zum ersten Mal in Ciarans Wagen. Danach lagen wir eng umschlungen unter den warmen Decken, Ciarans Kopf an meiner Brust. Er wirkte irgendwie abwesend, nachdenklich. »Was ist mir dir?«, fragte ich. Er drückte meine Hand. »Ach, nichts Wichtiges«, murmelte er. Dennoch spürte ich, dass ihn etwas beschäftigte.
Erst viel später, als wir schon in Konstanz waren, vertraute er mir an, was er damals von der englischen Reisegesellschaft erfahren hatte. Dass nämlich außer König und Papst noch jemand beim Konzil sein würde: Ein böhmischer Magister, der von seiner Heimat aus gegen Papst und Kirche aufbegehrte und sich vor der Versammlung der Kirchenoberen gegen den Vorwurf der falschen Lehre verteidigen sollte. Der Mann, auf dem alle Hoffnungen der englischen Lollarden ruhten, der Erbe Wyclifs: Jan Hus.
VIERTES BUCH
Das Konzil
Konstanz, Februar 1415
Die Fahrenden hatten lange gebraucht bis an den Bodensee, länger als Pirlo gerechnet hatte. Der Schnee war noch vor Weihnachten in anhaltenden Regen übergegangen, die Wagenräder versanken im Schlamm, und so mussten sie zu Worms wohl oder übel eine Woche Halt machen. Dann, kurz vor Speyer, kam ein Achsbruch bei Schnucks Karren hinzu. Zu allem Übel wurden auch noch zwei der Zugpferde krank; Pirlo mietete von einem Bauern eine trockene Scheune, um die Tiere unterzustellen. Es dauerte fast zehn Tage, bis Sara ihren bösen Husten mit einem Aufguss aus wildem Fenchel, Seifenkraut und Bibernell, Spitzwegerichlatwerge und Brustpflastern kuriert hatte. Schwärzel hatte zwar erst ungläubig abgewinkt, aber sie hatte mit ihrer Vermutung recht behalten: Man konnte sehr wohl auch Tiere mit den Arzneien behandeln, die für Menschen gedacht waren.
Danach zogen sie bei trübem Winterwetter durch kahles, graues Land. Krähen hockten auf den brachen Feldern, verwilderte Hunde aus den Dörfern jagten in den Wäldern nach Kleingetier und manchmal, wenn sie nachts lagerten, konnten sie die Wölfe heulen hören. Sie hatten nicht mehr viel zu essen; die Einnahmen waren seit Kaub gering gewesen. Im Sommer hätte man hie und da wenigstens ein paar Eichhörnchen gefangen oder einen Igel, der im
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