Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
»Er scheint mir der geborene Wirtschafter zu sein.«
Ezzo spürte die Spitze wohl und errötete, aber er aß ruhig weiter. Er hatte sich längst an Friedrichs misslaunige Bemerkungen und seine kleinen Gemeinheiten gewöhnt. Vielleicht war es einfach das Unglück seiner Lahmheit, das ihn so werden hatte lassen. Der Graf jedoch beugte sich vor und sah seinen Bruder mit gerunzelten Brauen an. »Diese Aufgabe hättest du längst übernehmen können, altes Schandmaul, aber das Einzige, womit du dich beschäftigst, sind feine Kleider und deine Ritterspielchen.«
Friedrich schmiss wütend seinen Fleischbrocken hin und machte Anstalten, aufzustehen, als der Graf plötzlich einen kleinen, merkwürdigen Laut von sich gab. Sein Gesicht wurde von einem Augenblick auf den anderen erst dunkelrot und dann bleich wie ein Leinlaken. Er saß da, und es schien, als ob er eine Zeitlang aufmerksam in sich hineinhorchte. Alle Augen richteten sich auf ihn, man wartete. Und dann, ganz langsam, rutschte Heinrich von Riedern von seiner Bank. Seine Hände krallten sich in das Tischtuch und zogen alles mit, was auf der Tafel stand. Niemand hatte die Geistesgegenwart, ihn aufzufangen, und so landete er schließlich auf dem Boden, halb begraben von Schüsseln, Broten und Essensresten.
Alles sprang auf. Der junge Dornberger befreite den Grafen vom Unrat, zog ihn unter dem Tisch vor und lockerte seinen engen Kragen. Die anderen versuchten ebenfalls, zu helfen, doch Heinrich von Riedern rührte sich nicht mehr. Pater Meingolf kniete sich neben den reglos daliegenden Körper, schlug das Kreuzzeichen und murmelte erschüttert: »Media vita in morte sumus.« – Mitten im Leben gehören wir dem Tod. Dabei wackelte sein Doppelkinn wie weiche Sülze. Doch dann flackerten die Lider des vermeintlich Toten, er schlug die Augen auf und stöhnte leise. Irgendjemand rief laut nach Trägern.
Ezzo spürte die Hand seiner Mutter auf der Schulter. Lies war wie die meisten von der Dienerschaft vom Gesindetisch herübergeeilt. »Komm«, sagte sie, »du kannst hier nicht helfen.«
Man hatte den Grafen in seine Schlafkammer gebracht. Sie lag im sichersten Bereich der Burg, dem zweiten Stockwerk des alten Bergfrids. Der Pfarrer war bei ihm und auch die alte Bärbel von der Hasenmühle, die sich mit Kräutern und Heilkunde auskannte. Alle anderen warteten in der Hofstube, keiner mochte zu Bett gehen. Man sprach leise und bedrückt untereinander; jedem war klar, dass der Zustand des Herrn ernst war. Die Zeit verrann. Irgendwann in den Morgenstunden erschien einer der gräflichen Kammerdiener und winkte Ezzo zu sich.
Mit ernstem Gesicht trabte der Junge hinter dem Kammerknecht her, der nun unten an der geschneckten Treppe stehenblieb und ihm bedeutete, alleine hinaufzugehen. Zögernd betrat Ezzo die ersten Stufen. Er war lange nicht hier gewesen, seit ihn sein Vater vor einigen Jahren einmal mit auf den Turm genommen hatte. Schnaufend hatte der Graf sich zu ihm umgedreht, damals, und gefragt: »Weißt du, warum Wendeltreppen sich immer rechtsherum nach oben drehen, hm?« Er hatte schüchtern verneint. »Na, weil die meisten Menschen Rechtshänder sind«, hatte sein Vater ihm erklärt. »Wenn man sich von oben gegen einen Angreifer verteidigen muss, kann man mit dem Schwert ungehindert nach unten kämpfen, während der andere seine Waffe mehr recht als schlecht um die Ecke stoßen muss.« – »Also braucht man, wenn man eine Burg erobern will, immer einen Linkshänder dabei, der im Bergfrid gut kämpfen kann«, hatte Ezzo erwidert, und sein Vater hatte ihm einen lobenden Backenstreich versetzt. Ezzo sah sein Gesicht vor sich als sei dies alles erst gestern gewesen, mit der Narbe auf der Wange, die beim Lachen immer so lustig zerknitterte. Die Tränen stiegen ihm in die Augen, als er das Zimmer seines Vaters betrat. Man wies ihm einen Platz auf einem Scherenhocker zu, gleich neben der Tür.
Es sollte die letzte Lehrstunde sein, die der Graf seinem Sohn erteilte. Bisher hatte er Ezzo beigebracht, wie man gut und recht lebte, nun lehrte er ihn die Kunst des heilsamen Sterbens. Er lag mit geschlossenen Augen da und röchelte leise. Räucherwerk verbreitete seinen würzigen Duft im Raum, der durch mehrere Kerzenleuchter in ein rötliches Licht getaucht wurde. Ezzo schnupperte und wusste, er würde den Duft dieser Kräuter sein Leben lang mit dem Tod verbinden. Er hörte den Priester leise murmeln. »Vergesst alle weltlichen Sorgen«, sagte Pater Meingolf und stellte
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