Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
dann die obligatorischen Fragen: Ob der Graf bereit sei, in Einklang mit dem christlichen Glauben den leiblichen Tod auf sich zu nehmen, ob er bei Gott um die Verzeihung seiner Sünden bitte, ob er bereit sei, seinen Nächsten zu verzeihen, ob ihn sein Gewissen an ungebeichtete Sünden mahne, ob er durch wahre Reue und Beichte die Gesundheit seiner Seele erreichen wolle. Der Graf antwortete mühsam und mit schwacher Stimme. Dann erhielt er die letzte Ölung. »Aus der Gesundheit deiner Seele möge dir erwachsen die Gesundheit deines Leichnams, Amen«, schloss Pater Meingolf das tröstliche Ritual ab. Es war eine Gnade, so sterben zu dürfen.
Danach sangen alle Anwesenden in der Sterbekammer gemeinsam fromme Lieder. Heiligenbilder wurden dem Grafen vorgehalten, die er mit wächsernen Lippen küsste, Gebete wurden mit ihm gemeinsam gesprochen. Dann verabschiedete sich Heinrich von Riedern von allen, die ihm lieb und teuer waren. Erst traten altgediente Dienstboten ans Bett, die ihm weinend Lebewohl sagten, dann die höherrangigen Hofdiener, schließlich sein Bruder. »Ich bitt dich um Verzeihung, Friedrich … für alle Kränkung, die ich dir … im Leben angetan habe«, flüsterte der Graf stockend und tastete nach seines Bruders Hand. »Sie sei gewährt«, entgegnete Friedrich von Riedern und zog seine Finger hastig wieder weg, als sei der Tod ansteckend. »Vergib auch du mir und geh mit Gott.« Dann trat er zur Seite, denn Pater Meingolf schob nun Ezzo an den Bettrand.
Der Junge war bald so bleich wie sein sterbender Vater. Mit schreckgeweiteten Augen sah er die eingefallenen, gräulichen Wangen seines Vaters mit der Narbe, die zum ersten Mal, seit er sie kannte, schneeweiß leuchtete. Er sah die blau angelaufenen Lippen, die seltsam dunklen, milchig trüben Augen. Der Sterbende kam ihm unendlich fremd vor, ein uralter Mann, den er nicht kannte und der ihm Angst machte. Doch dann sah er, wie sich eine Träne aus dem Augenwinkel des Grafen löste, und in einer Aufwallung von Liebe und Trauer griff er nach seines Vaters eiskalter Hand.
»Ezzo, mein Lieber«, flüsterte der Graf. Sein Atem ging inzwischen rasselnd. »Du darfst … nicht traurig sein. Ich gehe heim … zu meinem Schöpfer, das ist gut und recht. Bet für mich … dann schau ich vom Himmel droben auf dich … herab.« Er hustete und schloss vor Anstrengung die Augen. Die alte Bärbel tupfte ihm den kalten Schweiß von der Stirn. Ezzo wollte schon zurücktreten, doch der Sterbende hielt seine Hand fest. Zitternd zog der Graf seinen schweren Siegelring vom Finger und steckte ihn auf den Daumen des Jungen. Ezzo hörte, wie Friedrich von Riedern hinter ihm laut den Atem einsog. Dann machte der Graf eine segnende Bewegung über seinem Kopf. »Du … bist mein Erbe«, keuchte er leise. »In meinem Testament erkenn ich dich an … als meinen rechtmäßigen Sohn. Ich weiß, du wirst mir … keine Schande machen. Gott segne dich.« Erschöpft entspannte sich der Graf in den Kissen. Pater Meingolf zog Ezzo sanft vom Bett weg, da stemmte sich Heinrich von Riedern plötzlich noch einmal aus den Kissen hoch, bis er fast aufrecht saß. »Und hüt mir meine Falken gut«, sagte er mit lauter, fester Stimme. Dann fiel er mit einem Lächeln auf den Lippen zurück und Ezzo hörte, wie sein Atem langsam entwich. Er wartete auf das nächste Einatmen, doch es kam nicht. Sein Vater war tot.
Zwei Stunden später, die Dämmerung lag schon bleiern über dem Land, betrat Friedrich von Riedern zusammen mit seinem Leibdiener noch einmal das Sterbezimmer. Man hatte den toten Grafen gewaschen und hergerichtet, mit gefalteten Händen lag er friedlich da, immer noch lächelnd. Er schien glücklich und zufrieden zu sein, dort, wo er jetzt war.
Friedrich warf einen kurzen, mitleidlosen Blick auf die Leiche, dann schleppte er sich mit ruckartigen Bewegungen zu der Truhe, die unter einem der beiden schmalen Fenster stand. »Hier, stemm auf!«, befahl er. Der Vierschrötige holte eine Eisenstange unter seinem Umhang hervor, setzte sie an und sprengte das Riegelschloss. Sein Herr begab sich auf die Knie und begann, in der Truhe zu wühlen. Wie er wusste, enthielt sie seit jeher wichtige Familienpapiere: alte Erbverträge, Schenkungen, Eheversprüche, Salbücher und Urbare mit Aufstellungen sämtlicher gräflicher Besitzungen. Er konnte sich nicht denken, dass sein Bruder das Testament anderswo als hier aufbewahrt hätte. Und tatsächlich entdeckte er in einem der hölzernen Fächer ein
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