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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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darüber das Mittagsbrot vergessen. Schon während des Unterrichts bei Pater Meingold hatte er vor lauter Hunger kaum denken können, und jetzt freute er sich auf den schönen Abendtisch – heute war Fleischtag, und wenn Lehnsleute mit an der Tafel saßen, ließ sich sein Vater mit dem Essen nicht lumpen.
    Endlich erschien der Graf und ließ sich in der Mitte der Tafel nieder. Der Aufwarter am Herrentisch klopfte daraufhin mit seinem Stab laut auf den Boden und gab damit das Zeichen für den Beginn der Mahlzeit. Die drei Essensträger kamen im Gänsemarsch mit ihren Doppelschüsseln herein – die untere diente als Tablett, die obere kopfüber als Abdeckung. Sie stellten ihre Last ab und lüpften die Deckel. Ein wunderbarer Duft nach Gebratenem und Gesottenem durchzog die Hofstube. Weil Gäste da waren, hatte man auch frisches Herrenbrot gebacken; vor jedem Platz lagen bereits zwei kleine Laibe knuspriges Weizengebäck.
    Ezzo wartete, bis sein Vater als Erster zugelangt hatte, dann zog auch er sein Essmesser, spießte damit ein Stück vom Braten auf und bugsierte es auf den gemeinsamen Teller. Geschickt schnitt er es in kleine Brocken, die er mit drei Fingern bequem in den Mund befördern konnte.
    Mit einem Seitenblick bemerkte er, dass die Herren von Dornberg mit den Händen in die gemeinsame Fleischschüssel langten – das war weiß Gott nicht die feine Art, erst recht nicht, wo sich der ältere der beiden doch vorhin durch die Finger geschneuzt hatte! Und jetzt knackte er zu allem Überfluss auch noch eine Laus, die er in seinem Bart entdeckt hatte! »Die führen sich ja auf wie die Bauern«, flüsterte Ezzo empört dem Pater zu, der neben ihm mit vollen Backen kaute. Der nickte. »Es sind halt einfache Herren, die nie aus ihrem kleinen Ansitz herauskommen«, gab er zurück. »In dem Tal, wo sie leben, sagen sich Fuchs und Has’ gute Nacht.«
    Ezzo wusste schon, dass es adelige Leute gab, die nicht viel besser als wohlhabende Bauern lebten. Nicht dass sein Vater zu den wirklich reichen Grafen gezählt hätte, zu denen ganz oben, die sich regelmäßig am Königshof aufhielten und mächtig waren im Reich. Die Burg Riedern und ihr Territorium waren klein und unwichtig. Aber so war die Welt eingerichtet: An der Spitze aller Menschen stand der König, unter ihm die großen Lehnsherren und Kirchenoberen, dann kamen all die Ritter und Grafen, und unter ihnen wieder die kleineren Lehensträger. Ganz unten in dieser Ordnung lebten die Bauern, deren Aufgabe es war, das Feld zu bestellen und das Land zu ernähren. Dafür, dass sie den Großteil ihrer Erträge als Gülten, Zins und Steuern abgaben, erhielten sie Schutz und Schirm ihres Herrn, dessen Pflicht es seinerseits war, das Land zu verteidigen und in den Krieg zu ziehen, falls es nötig sein sollte. So hatte Gott jeden an seinen Platz gestellt.
    »Mundet Euch mein Wildpret, Ihr Herren?« Graf Heinrich wischte sich die fettigen Hände am Tischtuch ab und langte nach dem Weinpokal.
    Die Edelfreien beeilten sich, höflich zuzustimmen, während der Graf mit großen Schlucken seinen Becher leerte. »Seid froh, dass heut kein Fischtag ist«, brummte er, »sonst müsste Euch ja das Essen im Hals stecken bleiben, bei Eurer Wirtschaft. Ezzo!«
    Der Junge ließ das Messer sinken und sah auf.
    »Wenn du im Frühjahr hundert Karpfensetzlinge in den Weiher einbringst, wie viele bleiben dann im Herbst zum Abfischen übrig?«
    »Die Hälfte«, antwortete Ezzo, ohne zu zögern. »Wenn sich nicht ein Hecht in den Teich einschleicht.« Solche Dinge wusste er inzwischen im Schlaf; sein Vater setzte sich jede Woche mit ihm zusammen und brachte ihm bei, was ein zukünftiger Grundherr wissen musste.
    »Da hört ihr’s!«, polterte der Graf seine Gäste an. »Das weiß sogar ein grünes Bürschlein, dem noch nicht einmal ein Bart auf den Backen sprießt! Wenn der Fisch heuer nicht über den Winter reicht und wir für einen Haufen Geld tonnenweise Salzheringe zukaufen müssen, ist das Eure Schuld. Feine Lehnsleute hab ich da auf Dornberg sitzen!« Er winkte verächtlich ab und griff dann in das vor ihm stehende Salzschüsselchen, um eine Prise auf seine Rehleber zu geben. In der Küche wurde wenig gewürzt; Gewürze waren teuer und rar. Nur auf dem Herrentisch stand deshalb Salz, falls der Graf eine Speise für zu fade befand.
    »Wir könnten ja im nächsten Jahr Ezzo mit den Fischrechten betrauen«, bemerkte Friedrich von Riedern säuerlich und warf einen abgenagten Knochen hinter sich.

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