Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Aus den Augen, aus dem Sinn, der alte Spruch sollte sich für ihn gleich doppelt bewähren. Denn mit dem Kuss, den er Sara zum Abschied gegeben hatte, war ihm erschreckend klar geworden, dass sie ihm viel zu viel bedeutete.
Gleich zwei Lieben also hatte er zu Konstanz zurückgelassen, die eine hatte ihn verraten, die andere gehörte seinem besten Freund. Die Entfernung half, brachte ihm mit der Zeit mehr Gleichmut. Anfangs hatte er trotzig Ablenkung bei willigen Schankmägden gesucht, war nachts in fremde Kammern geschlichen, wenn Finus schlief. Aber in dem gleichen Maß, in dem solche Abenteuer den einen Hunger stillten, weckten sie einen anderen – das Bedürfnis nach Zweisamkeit, nach Vertrautheit, nach Liebe. Oh, was die Königin betraf, da war ihm das Vergessen nicht schwer gefallen. Jetzt erst erkannte er, dass ihn mit dieser Frau wenig mehr als animalische Leidenschaft und jugendliche Schwärmerei verbunden hatte. Anders ging es ihm mit Sara. Von ihr konnte keine noch so wilde nächtliche Liebschaft ablenken. Spätestens zu Prag, wo sie den Winter über geblieben waren, hatte er das begriffen. Es half nichts, sie ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Ja, im Gegenteil: Die Zuneigung, die er für sie gehegt hatte, die er mit aller Willenskraft versucht hatte, tief in seinem Inneren zu begraben, verschaffte sich immer wieder Raum, kam immer wieder hartnäckig an die Oberfläche wie ein Stück trockenes Holz, das man nicht unter Wasser zwingen konnte. Er ließ sich Zeit, blieb mit Finus in der böhmischen Königsstadt, bis ihm kein Grund mehr einfiel, noch länger zu trödeln. Erst im Frühjahr waren sie schließlich aufgebrochen, und mit jeder Meile, die er sich Würzburg näherte, wurde er unsicherer. Dieser letzte Kuss zu Konstanz – hatte sie sich nur überrumpelt gefühlt, oder hatte sie ihn gern erwidert? Aber es war ja ganz gleich. Sie gehörte zu Ciaran und er würde einen Teufel tun, dies zu ändern. An diesem Vorsatz hatte er festgehalten – bis zu diesem Morgen …
Es war heiß; Ezzo nestelte sein Hemd über der Brust auf und krempelte die Ärmel hoch. Oh, er hatte davon geträumt, sie zu lieben. Oft genug war er nachts aufgewacht, von schmerzhaftem, brennendem Verlangen gequält, das er dann unter der Decke befriedigte, Saras Bild vor Augen. Und jetzt bekam dieses Verlangen neue Nahrung, war vielleicht nicht mehr vergebens. Ja, er hatte sich danach gesehnt, Sara wiederzusehen, aber er hatte auch Angst vor diesem Schmerz gehabt, der ihn jedes Mal überkam, wenn sie und Ciaran verliebte Blicke wechselten. Und nun war plötzlich alles ganz anders. Sie war frei. Und sie war tatsächlich, was er immer vermutet hatte, Jüdin. Ezzo schüttelte müde den Kopf. Was erhoffte er sich eigentlich? Dass sie ihn auch liebte? Und wenn ja, was dann? Eine Verbindung zwischen Christen und Juden war einfach unmöglich. Ein kleines, freudloses Lachen kitzelte seine Kehle. Der edelfreie Herr von Riedern und eine jüdische Medica! Es würde nie mehr sein können als eine Heimlichkeit, eine Liebschaft zur Linken, etwas, das um Gottes willen niemals öffentlich werden durfte. Geriet er eigentlich immer nur an Frauen, die ihm nicht wirklich gehören konnten?
Die Fischerbuben hatten einen fetten Hecht mit Schwung aus dem Wasser befördert, der jetzt auf dem Trockenen schnalzte und Ezzo mit einem Tropfenschauer überzog. Er wischte sich einen Spritzer aus dem Gesicht und winkte den kleinen Anglern lächelnd zu. Ach was, dachte er, vermutlich liegt ihr sowieso nichts an mir, und ich zerbreche mir völlig umsonst den Kopf. Aber er konnte sich doch nicht so getäuscht haben – sie hatte ihn doch gern, oder nicht?
Es half nichts, er würde es herausfinden müssen. So oder so. Er stand auf und machte sich auf den Weg ins Judenviertel.
Das unscheinbare Haus mit dem aufgemalten Harnschauglas neben der Eingangstür war ihm zuerst gar nicht aufgefallen. Jetzt stand er davor und lugte durch ein halb offenes Butzenscheibenfenster. Drinnen war nichts zu sehen, die Arztstube war leer. Ein Spannbett stand unter dem Fenstersims, das wohl für Untersuchungen oder Operationen diente, daneben ein Tischchen mit allerlei medizinischen Utensilien. Auf einem Wandregal lag ein dickes Buch, darunter hingen Tücher, Verbände und merkwürdig aussehende Haken. Zwei weitere Regale enthielten Töpfchen, Spanschachteln, Glasfläschchen und Apothekergefäße. Ein Dreifuß stützte eine irdene Wasserschüssel, von der dunklen Balkendecke hing ein
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