Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Fenstern schimmerte das erste warme Licht der Kerzen und Talglämpchen, und es roch nach Herdrauch und Essen. Sara liebte den Winter, die Kälte, den Schnee und die mollige Gemütlichkeit der Stuben, in denen das Kaminfeuer flackerte – sofern man es sich leisten konnte. Sie freute sich an den kleinen Wölkchen, die ihr Atem in der eisigen Luft erzeugte, während sie hinter ihrer Mutter und Jochebed herging. Einmal blieb sie stehen, streckte die Zunge heraus und wartete, bis eine Schneeflocke darauf fiel. Ein wenig schämte sie sich dieser kindlichen Anwandlung – schließlich war sie jetzt eine Frau! Sie zupfte ihr wollenes Kopftuch zurecht und stapfte weiter.
Es war die Zeit des Chanukka-Festes, das jedes Jahr am fünfundzwanzigsten Tag des Monats Kislew begann und eine Woche dauerte. Von allen Festen war dieses Sara das liebste; es brachte Licht und Wärme in der dunklen, kalten Zeit. Sie wusste, dass dieser Tage die Christen ebenfalls einen hohen Feiertag begingen: Die Geburt ihres Gottes Jesus, das Weihnachtsfest. Merkwürdigerweise war dieser Jesus in einem Stall geboren, ein schöner Platz für einen Gott, dachte Sara. Aber die Christen begingen den Tag mit viel gläubiger Hingabe. Da zeigten sich die Juden nicht gerne auf den Straßen und Plätzen der Stadt, schließlich gab man ihnen ja die Schuld am Tod des neugeborenen Christengottes. Es war zwar nicht verboten, außer Haus zu gehen, aber besser, man machte keinen Ärger.
Bei Enoch, dem Krämer, hielten sie kurz an, und Schönla kaufte einen großen Krug feines Öl. An Chanukka war es Brauch, ölreich zu essen, und so buk jede Hausfrau Sufganiot – knusprige Krapfen, die bei den Kindern besonders beliebt waren. Auch Sara freute sich schon auf die köstliche Speise. Und zur Feier des heutigen Tages ihrer Reinigung gab es dazu Mutters wunderbaren Kochfisch mit Kohl und Kräutern. Sara lief das Wasser im Mund zusammen, das kalte Bad hatte sie hungrig gemacht.
Als sie nach Hause kamen, stand der Vater schon mit der Chanuckia, dem neunarmigen Kerzenleuchter, in der Stube. Es war ein einfaches, geschnitztes Holzgestell mit gelblichen Wachskerzen, das nur zum Chanukkafest benutzt wurde – Kerzen waren zu teuer, als dass man sie für jeden Tag hätte nehmen können. »Ihr kommt spät«, sagte Levi, »es ist ja schon dunkel.« Er selber durfte das Licht nicht entzünden, das war seit jeher Aufgabe der Frau.
Schönla legte ihren Umhang ab und holte Schlagring, Feuerstein und Zunderschwamm aus der Wandnische über dem Herd. Feierlich stand die kleine Familie um den Tisch, und Levi sprach mit tönender Stimme das Schema, das bedeutsamste Gebet der Juden. Es handelte von der Alleinigkeit Gottes, und mit dem Aufsagen der Verse bekannten sich alle Kinder Moses’ zu ihrer Religion. Sara wartete, dass ihre Mutter Feuer schlug, aber Schönla schob ihr die Anzündsachen hin. »Da«, lächelte sie, »heute soll das deine Aufgabe sein.« Ihr Vater guckte etwas verlegen, protestierte aber nicht. Da nahm sie Ring und Stein, schlug geschickt einen Funken auf den Zunder und blies ein kleines Flämmchen an. Dann hielt sie den Docht der mittleren Kerze hinein, die Schamasch hieß – Diener – und nur zum Anzünden da war. Anschließend entzündete sie mit der Dienerkerze von links nach rechts vier weitere – es war der vierte Tag des Festes, und vier Lichter mussten brennen. Mit feierlicher Miene stellte sie den Leuchter ins Fenster, damit alle das Licht des Glaubens von draußen sehen konnten.
Sie aßen und tranken, und wie immer erzählte der Vater danach die Geschichte des Chanukkafestes. Es sollte nämlich an einen Aufstand der Juden in alter Zeit erinnern, einer Zeit, in der ein fremder Herrscher verlangte, man solle ihn wie einen Gott verehren. Zu allem Übel schändete er auch noch den Tempel in Jerusalem. Das konnten die Juden nicht ertragen, und so erhoben sie sich in den Bergen von Judäa. Der blutige Kampf endete mit der Wiedereroberung der Heiligen Stadt und der Reinigung und Neuweihe des Tempels. Für diese Weihe brauchte man neues, reines Öl für die Lampen, es gab aber davon nur ein einziges kleines Gefäß voll. Doch auf wundersame Weise brannte dieser knappe Vorrat acht Tage lang und reichte, bis man frisches Öl herangeschafft hatte. Die acht Seitenarme der Chanukkia sollten an dieses Wunder erinnern, und an den unter vielen Leiden errungenen jüdischen Sieg. Jochebed liebte es, wenn ihr Vater solch spannende Geschichten erzählte, sie patschte immer
Weitere Kostenlose Bücher