Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Laute von sich, war wie von Sinnen. Er wich völlig überrascht vor ihrem Angriff zurück, versuchte, ihre Hände einzufangen. Dabei trat er auf den abgebrochenen Löffelstiel; der rollte unter seinem Absatz weg. Er kam aus dem Gleichgewicht, ruderte verzweifelt mit den Armen, aber es half nichts: Er fiel hintüber ins Feuer. Mit einem Schrei versuchte er, sich aufzurappeln, aber dabei stieß er gegen den Kessel mit dem siedenden Fett, das sich in einem einzigen Schwall über seinen Hinterkopf und die linke Schulter ergoss. Eine Stichflamme schoss hoch, und Chajim brannte. Er kam wieder auf die Beine, vor Schmerz und Todesangst brüllend, taumelte vom Herd weg, eine lebende Fackel.
Ich löste mich aus meiner Erstarrung; meine Hand griff wie von selbst nach dem hölzernen Zuber mit Wasser, der immer neben dem Feuer stand. Aber dann, der Allmächtige möge mir verzeihen, blieb ich einfach stehen, das Wasserschaff in der Hand. Ich sah meine Schwester an, die verblüfft über das, was sie gerade getan hatte, mit weit aufgerissenen Augen wie angewurzelt dastand. Tat ich es für sie, oder für mich? Ich weiß es nicht. Ich wartete einfach. Chajim wälzte sich inzwischen schreiend und gurgelnd am Boden, seine Gestalt war hinter den Flammen fast nicht mehr erkennbar. Und dann, irgendwann, als es längst zu spät war, schüttete ich endlich das Wasser über ihn.
Im nächsten Augenblick war auch schon Ascher ben Jeschua da, der junge Thoraschreiber aus dem Hinterhaus, den die Schreie herbeigerufen hatten. Er löschte die letzten Flammen, indem er eine Decke über Chajim warf.
Als sei das alles nur ein böser Traum, sah ich auf das hinunter, was einmal mein Ehemann gewesen war. Es zuckte und wand sich und gab röchelnde Laute von sich. Da, wo Haut sichtbar war, hing sie schwarz und in Fetzen vom rohen Fleisch, nur die Beine und Füße waren fast unversehrt. Alles andere an Chajims Körper war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Aus dem, was von seinem Gesicht übrig geblieben war, starrten mich zwei glasige Augen an; sein Mund, ein schwarzes Loch, öffnete und schloss sich immer wieder wie ein Fischmaul.
Ich weiß nicht mehr, wie es dann weiterging. Das Einzige, woran ich mich erinnere, ist, dass mich jemand in den Arm nahm und wegführte. Und dass Rabbi Süßlein mir irgendwann später die Hand auf die Schulter legte. Ich wollte etwas erklären, aber er schüttelte nur den Kopf. »Es ist meine Schuld«, erklärte er. »Ich habe deinem Mann gesagt, wo er dich finden kann.« Dann sah er mich durchdringend an. »Er ist wohl ins Feuer gefallen.«
Ich nickte stumm.
»Manchmal hilft der Herr denen, die ihn brauchen«, sagte der Rabbi. »Amejn.«
Chajim lebte noch drei lange Tage. Es war entsetzlich, seinen Qualen zuzusehen, sogar in der tiefsten Besinnungslosigkeit heulte er fast unaufhörlich wie ein Tier. Am Mittag des 2. Tamus 5178 starb er, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Ich war zum zweiten Mal Witwe – und frei.
Mainz und Riedern, Anfang August 1417
Am Tag, als die jüdische Gemeinde den Leichnam des Chajim ben Hirsch mit allen Ehren zu Grabe trug, ritt Ezzo in brütender Sommerhitze den Main entlang. Spät am Vormittag hatte er Mainz verlassen, nachdem ihn der Fürstbischof zu einer Audienz empfangen hatte. Während der Schimmel dahintrottete, hing Ezzo seinen Gedanken nach. Er hatte sich zu Würzburg entschlossen, nicht als Erstes nach Riedern zu reiten, sondern vorher beim Fürstbischof als dem Lehnsherrn seines Onkels vorzusprechen. Immerhin konnte es sein, dass sein Vater das Testament, in dem Ezzo als Erbe eingesetzt war, nicht in der alten Truhe für wichtige Schriftsachen aufbewahrt, sondern zur Sicherheit in der Mainzer Kanzlei oder im kurfürstlichen Archiv hinterlegt hatte. Oder dass sich der Inhalt des Schriftstücks wenigstens in einem Kopialbuch finden ließ. Das war die einzige Hoffnung, an das Schriftstück zu kommen, denn eines war ganz klar: Falls sich Ritter Heinrichs letzter Wille nach seinem Tod auf der Burg Riedern befunden hatte, war das Dokument von Ezzos Onkel längst aufgefunden und vernichtet worden.
Gleich nach seiner Ankunft in Mainz hatte Ezzo bei einem der fürstlichen Notare vorgesprochen. Der Beamte überbrachte Ezzo nach einigen Tagen die schlechte Nachricht: Seine Suche war erfolglos gewesen. Weder ein Testament noch eine Abschrift oder ein Kopialeintrag hatten sich finden lassen. Es schien so, als habe Ezzo einfach kein Glück.
Wenigstens aber hatte der freundliche
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