Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Hände zu verbergen, er hatte es längst gesehen. Ja, es ging ihm nicht um Liebe, er hatte nie Gefühle für mich gehegt. Es ging ihm um Macht. Er wollte Macht über mich haben, gerade über mich, weil ich der einzige Mensch war, der sich ihm je widersetzt hatte. Er wollte mich demütigen und quälen, so, wie er es früher getan hatte.
»Du kannst mich nicht zwingen«, sagte ich. »Ich bin kein Kind mehr, Chajim. Ich werde mich an den Barnoss und die Gemeinde wenden.«
»Oh, tu das«, erwiderte er seelenruhig. »Ich freue mich schon auf die Gesichter der Gerechten, wenn du ihnen erzählst, dass du deinen Ehemann bei Nacht und Nebel schändlich verlassen hast. Sie können dir gar nicht helfen, meine Liebe. Denn ihr Urteil muss sich an das Gesetz halten, und das ist auf meiner Seite.«
Ich wusste, er hatte recht. Natürlich hatte er recht. Nicht der beste Freund würde mir gegen ihn beistehen können, und wenn er mich an den Haaren zurück nach Köln schleifte. Ich öffnete den Mund, aber kein Laut kam heraus. Plötzlich war es wieder wie damals. Ich bestand nur noch aus Angst, glühendheißer, alles erstickender Angst vor Gewalt, Misshandlung und Schmerz. Unwillkürlich duckte ich mich in Erwartung des ersten Schlages. Ich war wieder siebzehn, ein wehrloses Kind, ein schwaches Opfer, ein Nichts in den Händen eines Ungeheuers. Mein ganzer Körper bebte, die Knie gaben unter mir nach, mein Magen krampfte sich zusammen. Hilflos ließ ich mich auf einen Schemel sinken und barg das Gesicht in den Händen.
Chajim stand mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen da und weidete sich eine Weile an meiner Furcht. Er ließ mir Zeit, mich wieder ein wenig zusammenzureißen. Meine Gedanken rasten. Was konnte ich ihm sagen, was konnte ich tun? Je fieberhafter ich überlegte, desto weniger fiel mir ein. Ich verlegte mich aufs Bitten. »Chajim«, sagte ich, »beim Andenken deines toten Bruders, der mich geliebt hat, tu mir das nicht an. Ich würde bei einer Scheidung alle Schuld auf mich nehmen, es wäre keine Schande für dich … «
Er entblößte eine Reihe schadhafter Vorderzähne, ich weiß nicht, ob es ein Lachen war. »Pack deine Sachen«, sagte er.
Ich war verzweifelt. »Du könntest eine andere heiraten, eine jüngere, hübschere. Eine reiche Erbin. Ich bin doch nichts und habe nichts. Chajim, bitte.«
Seine Miene blieb gleichgültig. »Ich warte«, sagte er.
Wie ich ihn hasste. Sein Anblick verursachte mir Übelkeit, die Art, wie er dastand, wie er mich anschaute. In diesem Augenblick wusste ich, dass ich nicht freiwillig mit ihm gehen würde, ganz gleich, was geschah.
»Nein«, sagte ich. »Du wirst mein Leben kein zweites Mal zerstören, Chajim.«
Ich sah, wie die Ader auf seiner Stirn vor Zorn bläulich anschwoll. Mit geballten Fäusten kam er auf mich zu, trieb mich zurück bis an die getäfelte Holzwand. Ich schrie. Und dann schoss mir ein völlig verrückter Gedanke durch den Kopf und kam auch schon über meine Lippen. »Wenn du mich mit nach Köln zwingst, lasse ich mich taufen! Du wirst es nicht verhindern können! Und dann musst du mich verstoßen.«
»Du … « Er hob den Arm, um mich zu schlagen, da fiel sein Blick auf Jochi. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, und er ließ seinen Arm sinken. »In diesem Fall, Sara, werde ich der einzige Vormund dieses Dings sein, das da in der Ecke hockt.« Er ging zu Jochi hinüber und stieß sie mit dem Fuß an, als sei sie ein Lumpen, den man auf den Boden geworfen hatte. »Oh, natürlich werde ich dann gut für dich sorgen, meine Kleine«, sagte er ganz freundlich zu ihr. »Ich wähle für dich die hübscheste aller Narrenkisten aus, die vor dem Kölner Stadttor hängen.«
Dann wandte er sich wieder zu mir um. »Das würde dich doch auch freuen, oder?«
Ich schloss die Augen.
Er wusste, dass er gewonnen hatte. So stand er da und kostete seinen Sieg aus, genoss es, mich am Boden zu wissen.
Jochi hatte aufgehört, zu brummen. Ich sah, wie sie langsam aufstand, den Rührlöffel in der Hand. Ihr rundes, kindliches Gesicht war so voll unbändiger Wut, wie ich es noch nie an ihr gesehen hatte. Und dann ging alles viel zu schnell. Sie schlug Chajim von hinten den Löffel auf den Kopf, dass er abbrach. »Du bist bös!«, kreischte sie, »bös, bös!«
Chajim zuckte unter dem Schlag zusammen, dann drehte er sich langsam um, die Hand auf den Hinterkopf gedrückt. Jochi fuhr ihm mit allen zehn Fingern ins Gesicht wie eine Katze. Sie gab zornige, tierische
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