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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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führte mich zum Rabbi. »Was geschieht«, fragte ich, »wenn eine Jüdin einen Christen liebt?«
    Er sah mich durchdringend an, dann kratzte er sich am Bart und seufzte. »Oj, Sara, das ist nicht gut, gar nicht gut.« Mit langen Schritten durchmaß er den Lehrraum seiner Jeschiwa, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Ich saß derweil voller Gewissensbisse auf einer der Schulbänke, knickte ohne es überhaupt zu merken eine Schreibfeder und wartete auf sein Urteil.
    »Man hat mir vertraulich erzählt, dass du kürzlich einen Mann auf offener Straße umarmt hast. Der Mann soll ein Schwert getragen haben, also kann er wohl keiner von unserem Volk sein.«
    Ich nickte stumm.
    »Eine solche Verbindung kann ich nicht gutheißen, das verstehst du doch?«
    »Ja«, flüsterte ich.
    »Einer von euch beiden wird sich entscheiden müssen.« Der Rabbi blieb vor mir stehen. Mahnend hob er den Zeigefinger. »Es steht geschrieben, dass Mann und Frau in Liebe zusammen sein sollen. Wie aber kann das gehen, wenn sie nicht gemeinsam beten, gemeinsam zur Synagoge gehen, gemeinsam die heiligen Feste feiern? Ich frage dich! Ich will dir gar nicht mit dem Gesetz und der Thora kommen, du weißt genau, was die Schriften sagen. Sondern mit ganz einfachen Überlegungen: Wie willst du den Schabbat ehren? Wie willst du jeden Tag koscher leben? Welche gemeinsamen Freunde werden an eurem Tisch sitzen? Was wird ein Christ dazu sagen, wenn du zwei Mal sieben Tage im Monat unrein bist? Frage deinen Verstand, Sara. Er wird dir sagen, dass Feuer und Wasser nicht zusammengehen. Einer von euch wird den Glauben des anderen annehmen müssen. Und du wirst nicht im Ernst von mir erwarten, dir zu raten, dies zu tun.«
    Ich war dem Rabbi dankbar für die Nachsicht, die er mit dieser Rede bewies. Rabbi Meir, der Lehrer meiner Kindertage in Köln, hätte Feuer und Schwefel auf mich herabregnen lassen. Er hätte mich beschuldigt, schon mit dem Gedanken an eine Verbindung zu einem Christen das Gesetz zu brechen, meinen Glauben zu verraten. Unrein wäre ich in seinen Augen gewesen allein dadurch, dass ich Ezzo geküsst hatte. Er hätte mir vorgeworfen, das Andenken meiner Eltern zu schänden, das jämmerliche Leben im Diesseits der ewigen Seligkeit vorzuziehen. Und am Ende hätte er mich für verrückt erklärt.
    Dies alles tat Rabbi Süßlein nicht. Und gerade deswegen fand ich seine Worte so überzeugend. Aber so wenig, wie ich mich dazu durchringen konnte, meinen Glauben aufzugeben – gerade jetzt, wo ich mich wieder in ihm und der jüdischen Gemeinschaft heimisch fühlte –, so wenig konnte ich von Ezzo verlangen, sich aus Liebe zu mir von seiner Religion abzuwenden. Sich gar beschneiden zu lassen. Ich wusste, dass es viele Juden gab, die sich taufen ließen, aber noch nie hatte ich von einem umgekehrten Fall gehört. Wie sehr hätte ich jetzt Onkel Jehudas Rat gebraucht! Er, der sich aus Liebe zu einer Christin hatte taufen lassen! Er hätte mich verstanden, hätte mir helfen können. Aber sie hatten ihn ja umgebracht. Und da stand ich nun und spielte tatsächlich mit dem Gedanken, den Glauben seiner hasserfüllten Mörder anzunehmen? Derer, die mich selber fast umgebracht hätten? Die mich, wie Ciaran, abstoßend, schmutzig und verachtenswert fanden, nur weil ich Jüdin war? Aber dann war da wieder Ezzo …
    Es zerriss mich innerlich.
    Und dann, weil nun schon alles egal war, gestand ich dem entsetzten Rabbi Süßlein auch noch meine Ehe mit Chajim, schilderte ihm das Martyrium, das ich bis vor meiner Flucht erduldet hatte. Es dauerte lange, bis der Rabbiner sich so weit gefasst hatte, dass er mir antworten konnte.
    »Du bist eine Frau mit sehr viel Unglück, Sara bat Levi«, sagte er endlich mitleidig. »Geh heim, sprich deine Gebete, flehe den Herrn um Hilfe und Anleitung an. Denn ich fürchte, ich kann nichts für dich tun.«

    Die nächsten Tage verbrachte ich in einem Zustand völliger Ratlosigkeit. Ich behandelte meine Patienten, erledigte, was zu tun war, aber mit meinen Gedanken war ich weit weg. Jochi, die immer ein gutes Gespür dafür hatte, wie es anderen Menschen ging, versuchte mich mit Grimassen aufzuheitern und schleppte mich auf lange Spaziergänge, aber es half alles nichts. Eine Woche nach Ezzos Fortgang trat ich auf dem Heimweg von einem Krankenbesuch aus Versehen auf eine tote Ratte, die mitten auf der Gasse lag. So etwas kam vor, nach der Berührung eines toten Tieres ging man eben in die Mikwe, um sich zu reinigen. Aber mich brachte

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