Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
dem Seiler gehabt, das hat sie mir selber erzählt, die Lies. Die Kinder haben sie vergöttert. Dann, lass mich überlegen, es war der Winter vor drei Jahren, als das große Hochwasser kam, da ging das dreitägige Fieber um. Die Seuche hat deine Mutter wie so viele innerhalb von kürzester Zeit weggerafft, sie und eines der Kinder. Ihr Mann ist ihr nach sechs Monaten nachgestorben; sie liegen alle drei auf dem Amorbacher Kirchhof. Ja, so ist das.«
Ezzo senkte den Kopf, er versuchte vergebens, den Kloß in seinem Hals hinunterzuschlucken. Pater Meingolf legte ihm die gichtige Hand auf den Arm. »Mach dir keine Vorwürfe. Sie hat schon verstanden, dass du fort musstest, und sie war in den letzten Jahren glücklich. Geh an ihr Grab und red dort mir ihr, das wird sie freuen.«
Ezzo lächelte betrübt und spülte die Wehmut mit einem großen Schluck Wein hinunter. »Und wie steht’s mit Land und Leuten?«, fragte er nach einiger Zeit.
Der Pater verzog das Gesicht, bis er aussah wie ein runzliger alter Apfel. »Miserabel, Ezzo. Dein Onkel kümmert sich um nichts außer ums Eintreiben der Abgaben – und die verprasst er dann für seine Launen. Es heißt, er sei bis über beide Ohren verschuldet. Jaja, das glaub ich gern. Er hat schon angefangen, Güter zu verkaufen – die Mühle im Hinteren Tal gehört jetzt den Leyenfelsern, und das große Stück Ackerland mit den vier Höfen hinterm Teufelswäldchen auch. Dein Vater würde sich im Grabe umdrehen, wenn er’s wüsste! Na, wenigstens ist Herr Friedrich die meiste Zeit nicht hier, sondern er sitzt auf Lauda, wo er das Amt versieht.«
»Es ist mein Erbe, das er zugrunde richtet«, sagte Ezzo zornig. »Pater, wart Ihr damals dabei, als mein Vater sein Testament machte?«
»Natürlich, ich war ja sein Leibschreiber.« Der Alte kratzte sich am Kinn. »Das muss gewesen sein, warte, in dem Jahr als der Dachstuhl vom Getreidekasten brannte und die beiden Schustersmädchen in der Erf ertranken. Vier-, nein, fünfundneunzig.«
»Habt Ihr noch die Zeugen im Kopf?«
»Die Zeugen? Lass mich überlegen: Da war Graf Johannes von Wertheim, dann der junge Hans von Vestenberg, Seyfried von Schenck, den alle nur den Wilden nannten, Apollonius von Lichtenstein, und der von Grumbach, den Vornamen hab ich vergessen. Dann Caspar von Bibra der Ältere und noch der Abt von Münsterschwarzach.«
»Mehr nicht?« Ezzo wusste, dass eine Zeugenliste für gewöhnlich viel länger war.
Pater Meingolf nickte. »Dein Vater hatte damals – es war ein kalter, nasser Herbst – einen schlimmen Gichtanfall, der Arzt fürchtete um sein Leben. Die anwesenden Herren waren gerade gemeinsam auf dem Weg nach Heidelberg und nahmen Quartier auf Riedern. Und es sind ja alles gute Namen. Dein Vater dachte wohl, das würde ausreichen.«
Das würde es nicht, fürchtete Ezzo. »Wisst Ihr, ob diese Zeugen noch am Leben sind, Pater?«
Der Alte kniff die Augen zusammen. »Nach mehr als zwanzig Jahren? Der Abt jedenfalls nicht, der hat noch im alten Jahrhundert das Zeitliche gesegnet. Der von Bibra war schon damals an die sechzig, vermutlich ruht er längst in der Gruft bei seinen Ahnen. Und der wilde Seyfried ist, hab ich zumindest gehört, vor etlichen Jahren an einer Turnierwunde gestorben. Der Lichtensteiner, hm … «
Ezzo unterbrach den Pater. »Der Fürstbischof von Mainz fordert fünf Zeugen.«
Pater Meingolf hob die schneeweißen Augenbrauen. »Oho, du willst also deinem Onkel ans Eingemachte? Deshalb bist du zurückgekommen?«
»Schon.« Ezzo stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. »Aber ohne diese Zeugen bekomme ich mein Recht nicht.«
Die zwei Männer hockten gedankenverloren eine Weile da, bis Pater Meingolf meinte: »Du musst versuchen, zu verhandeln. Gib vor, das Testament zu besitzen. Biete deinem Onkel etwas an. Vielleicht lässt er sich täuschen und ihr könnt euch irgendwie einigen … «
Ezzo spielte mit seinem Weinbecher. Warum nicht, dachte er. Den Bischof hatte er schießlich schon für sich eingenommen, jetzt musste er einfach weitermachen. Ezzo schlug mit der Faust auf den Tisch. »Wer wagt, gewinnt!«, sagte er und stand auf. »Ich habe nichts zu verlieren, oder?«
»So ist’s recht«, lachte Pater Meingolf und entblößte eine Reihe schadhafter Vorderzähne. »Gott hilft denen, die sich selber helfen! Du musst alles daransetzen, deinen Plan zu Ende zu bringen.«
Ezzo nickte. »Ich kann’s zumindest versuchen.«
Schreiben des Barnoss der Kölner Gemeinde
an Rabbi
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