Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Und er hatte ihm eine Möglichkeit eröffnet, auch ohne das Testament sein Recht einzufordern. Nur: Wie sollte er wissen, wer unter den Riedern nahestehenden Adeligen Zeuge des letzten Willens seines Vaters gewesen war? Es gab nur eine einzige Möglichkeit: Pater Meingolf! Als Beichtvater Heinrichs von Riedern musste er wohl bei der Abfassung des Testaments dabei gewesen sein, hatte es vermutlich sogar selber geschrieben! Und wenn ja, dann kannte er auch die Zeugen! Ezzo trieb sein Pferd in den Trab. Er wollte so schnell wie möglich Riedern erreichen und Pater Meingolf befragen.
Sofern der noch am Leben war, was Ezzo nun mit Inbrunst hoffte.
Schreiben des Rabbi Malachi Süßlein an den Rabbi
der jüdischen Gemeinde zu Köln, Anfang August 1417
Meinen freundlichen Gruß zuvor, lieber und guter Bruder zu Cölln, und Schutz und Segen des Allmächtigen Dir und den Deinen. Mir fällt die traurige Aufgabe zu, dir davon kund zu tun, daß der Kauf- und Handelsmann Chajim ben Hirsch zu Würzburg eines plötzlichen grausamen Todes dahingerafft wurde und er allhier sein Grab gefunden hat. Zur Freude seiner Seele hat ihn sein wiedergefundnes Weib Sara, Ärztin dahier, in die Hände des Herrn geben können. Dir, mein Bruder, obliegt es nunmehr, seiner Familie und den Freunden die schlechte Kunde zu bringen. Der Herr stehe allen bei, die der Verlust betrifft. Möge ihre Kraft wachsen.
Würzburg, am 5. Tamus des Jahres 78.
Riedern, Mitte August 1417
Das Pfarrhaus neben dem alten Kirchlein hatte schon bessere Tage gesehen. Hier und da fehlte auf dem Dach ein Ziegel, und das Fachwerk hätte längst einen neuen Anstrich verdient gehabt. Auch der Garten war reichlich verwildert, die Beete ungepflegt, zwischen Klettererbsen und Stachelbeeren wucherten Kräuter, Giersch und Quecken. Pater Meingolf kauerte schwitzend auf den Knien und rupfte Grünzeug. Seit ihm letzten Winter die Haushälterin weggestorben war, hatte er sich beharrlich geweigert, jemand Neues aufzunehmen. »Ich werd mich auf meine alten Tage noch an ein neues Weib gewöhnen!«, hatte er zu den Dörflern gesagt, die ihm ihre unverheirateten Tanten oder Schwestern präsentiert hatten. Nur zum Kochen und Putzen durfte die triefäugige Michaele zwei Stunden am Morgen vorbeikommen, sonst wollte er seine Ruhe haben. Mit bald siebzig würde es wohl ohnehin nicht mehr lange dauern, bis ihn der Herr zu sich rief.
Jetzt allerdings rief ein anderer: »Pater Meingolf, seid Ihr’s?«
Der Pater drehte sich mühsam um und beschattete die Augen mit der Hand. Die Gestalt, die ihm da entgegekam, schien ihm auf merkwürdige Weise vertraut, dieser Gang, die Haltung … es war ein gut gewachsener Kerl, jung, hellhaarig … Konnte es wahr sein? Ach, das Oberstübchen arbeitete halt auch nicht mehr so wie früher. Aber doch! »Ezzo?«, rief er und stieß vor lauter Aufregung den Korb mit dem Unkraut um.
Ezzo war mit wenigen Schritten bei seinem alten Lehrer und half ihm auf.
»Ist das schön, Euch wiederzusehen, Pater, Gott zum Gruß! Ich hatte gehofft, dass es Euch noch gibt!«
»Hast Glück gehabt, Junge, der da droben will mich noch nicht«, erwiderte der Priester und klopfte sich die Erde von der Kutte. Dann zog er Ezzo zu sich herunter und umarmte ihn so stark es seine Kräfte zuließen. »Bist du endlich heimgekehrt! Und ein ritterlicher Anblick, bei allen Heiligen! Groß und kräftig bist du auch geworden, wie weiland unser guter Lanzelot!«
»Ihr dagegen habt recht an Umfang verloren«, meinte Ezzo schmunzelnd. »Früher hättet Ihr mit Eurer Leibesfülle dieses Gewand gesprengt, das Ihr grad anhabt.«
»Fürwahr!«, rief Pater Meingold ärgerlich, »Seit mich dein Onkel aus der Burg gewiesen hat, fehlt mir die Hofspeise schon gewaltig, das kann ich dir sagen! Von dem bisschen Pfründe, das ich als einfacher Dorfpriester bekomme, lässt sich nicht jeden Tag ein Braten bezahlen. Jaja, der Herr gibt’s und der Herr nimmt’s. Komm mit hinein, Junge, es wird wohl noch etwas Wein im Keller sein, um deine Rückkehr zu feiern!«
Kurz darauf saßen sie einträchtig am Tisch, jeder einen gefüllten Becher vor sich.
»Zuallererst«, sagte Ezzo, »Wie geht es meiner Mutter? Ist sie noch auf der Burg?«
Der Priester schüttelte den Kopf. »Längst nicht mehr. Nachdem du verschwunden warst, ist sie nach Amorbach gegangen und hat dort einen Seilmacher geheiratet, einen Witwer mit drei kleinen Kindern. Das hat ihr drüber weggeholfen, dass du fortgezogen bist. Gut hat sie’s bei
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