Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
christlichen Welt. Die Zeit für die Reformation aber kennt allein der, welcher die Zeiten geschaffen hat.«
Mit einem unterdrückten Aufschrei packte der Mönch das Pergament und zerknüllte es wütend. »Jetzt«, stieß er hervor, »jetzt muss es sein, jetzt! Wie lange noch willst du warten, Herr?« Ja, wie lange sollte man noch zusehen, wie die Schacherer und Händler mit Ablässen Geschäfte machten, sich in Gottes eigene Sache einmischten, sich anmaßten, himmlische Entscheidungen zu treffen und dabei reich wurden? Wie lange noch musste man erleben, dass Menschen fröhlich sündigten, ohne Angst vor Strafe, weil sie ja wussten, wie viel ein Jahr im Fegefeuer kostete? Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt! Welch unglaubliche Blasphemie! Den Mönch packte der heilige Zorn, seine Faust donnerte auf die rohe Tischplatte, wobei ein dicker Splitter ihm ins Fleisch fuhr. Er schloss die Augen. Kleine Sünden bestraft der Herr sofort, dachte er, und Zorn ist eine Sünde. Er öffnete die Faust und ließ seine Stirn auf den Tisch fallen. Warum gab ihm der Herr kein Zeichen? Warum?
Es klopfte leise, und Bruder Martinus hob den Kopf. »Ach, Ihr seid’s, Staupitz. Schön, dass Ihr vorbeischaut.«
Johannes von Staupitz, der theologische Dekan der Universität, schob seinen wuchtigen Körper durch die schmale Tür. »Wir haben dich beim Abendmahl vermisst, mein Freund.« Er trat näher an den Arbeitstisch und ließ sich ungefragt auf ein daneben stehendes Dreibein plumpsen, das dabei gefährlich wackelte.
»Ich hatte keinen Hunger«, entgegnete Luther.
Staupitz lächelte. Es war nicht das erste Mal, dass sein Schützling über dem Denken das Essen vergaß. Aus den Tiefen seiner Kutte förderte er einen Apfel, ein Stück harten Käse und einen Kanten Brot zutage und legte alles vor Luther auf den Tisch. Der griff folgsam nach dem Apfel, biss hinein, kaute ein paar Mal und legte die Frucht dann angewidert weg. »Ich bring einfach nichts hinunter, Staupitz«, sagte er müde, »nicht, solange ich den rechten Weg nicht finde. Vor Jahren, da hat mir der Herr einmal ein Zeichen gegeben, ungefragt, ohne dass ich es gewünscht hätte. Da bin ich Mönch geworden. Jetzt, wo ich stündlich um ein Zeichen bete, da bleibt er stumm. Ich kann nicht essen, nicht trinken, nicht schlafen, nicht scheißen. Gott will mein Rufen einfach nicht hören, dort droben, er hadert mit mir und meinen Gedanken. Darüber sterb ich, Staupitz.«
»Gott braucht auch im Himmel Doktoren zur Beratung, mein Freund.« Der Professor lächelte, dann zwirbelte er nachdenklich den einsamen Haarwirbel, der mitten über seiner Stirn wuchs. »Aber im Ernst«, sagte er schließlich, »du bist ein Tor. Gott zürnt nicht mit dir, sondern du mit Gott.«
Luther krümmte sich, als sei er geschlagen worden. »Wie soll ich recht handeln, wenn ich nicht weiß, was Er von mir will?«
Staupitz seufzte. »Es geht dir immer noch um den Ablass, wie? Nun, wenn es dich beruhigt, ich bin auch dagegen. Es ist lästerlich, was dieser Bußprediger Tetzel im Namen des Papstes tut. Zieht im ganzen Land umher und spricht die Gläubigen von ihren Sünden frei! Das ist allein Gottes Recht. Kein Mensch hat diese Macht. Das ist übrigens nicht nur meine Meinung. Viele von uns denken so.«
Der Mönch fuhr hoch und ließ dabei die Feder fallen; winzige Tröpfchen Tinte besprenkelten sein weißes Habit. »Ja, viele! Aber keiner wagt es, dagegen aufzutreten. Niemand will der Katze die Schelle anhängen, weil die Ketzermeister jedermann mit dem Feuer drohen!«
»Und du hast auch Angst, das verstehe ich.« Der Dekan stand auf und stapfte mit langsamen Schritten im Raum hin und her. »Es war schon immer gefährlich, gegen die Lehrmeinung der Kirche zu kämpfen. Das Feuer ist schnell geschürt. Denk an Jan Hus.«
»Der in vielem recht hatte«, erwiderte Luther. »Sein Tod ist nun schon hundert Jahre her, Staupitz, und seither ist nichts geschehen. Was damals falsch war, ist es auch heute noch. Die Kirche muss sich ändern, sie muss! Die Zeit ist reif! Wann findet sich endlich einer, der den Anfang macht?«
»Und der eine willst du sein, ja? Du willst gegen den Papst schreiben? Man wird’s nicht leiden.«
Wieder fuhr Luthers Faust auf den Tisch nieder. »Ich weiß. Ich bin kleingläubig, mein Freund, und feige. Nicht Friede, Friede, sondern Kreuz, Kreuz muss es heißen. Aber ich habe Angst, dieses Kreuz auf mich zu nehmen. Ich will nicht brennen.«
Staupitz blieb
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