Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
sich für ihn geschlossen. Ich lächelte und sah ihn vor mir, das rabenschwarze Haar in langen Locken, die blauen Augen blitzend, die langen, feingliedrigen Finger an den Saiten seiner Harfe. Wie von fern hörte ich seine samtene Stimme, hörte das Zupfen, mit dem er ein tauschimmerndes Spinnennetz von Tönen zu einem zarten, wunderschönen Gebilde wob. Möge er in seiner Welt, auf seiner silbernen Burg glücklich sein, so wie wir es auf unserer sind.
»Spielt noch einmal dieses Lied«, bat ich den jungen Sänger. Ezzo legte den Arm um mich, und ich ließ den Kopf an seine Schulter sinken. Ich spürte seinen Herzschlag im selben Takt wie meinen. Dann begann die Melodie, und ich schloss die Augen. Schalom, Ciaran, dachte ich, der Ewige erhelle deinen Weg mit Frieden.
Epilog
Wittenberg war eine kleine Stadt in Sachsen, schmutzig, langweilig und unwichtig. Seine Bewohner standen im Ruf, mürrisch und abweisend zu sein, kaum einen Fremden zog es dorthin, es sei denn, man hatte Geschäfte zu erledigen. Es gab ein paar Handwerker, die üblichen Armen und Taglöhner, eine Kirche, ein paar Wirtschaften und ein Schloss, in das es den Landesherrn nur selten verschlug. Dazu noch ein Kloster, das kein besonderes Ansehen genoss. Der Kurfürst, nicht umsonst mit dem Beinamen »der Weise« belegt, hatte jedoch den Missstand erkannt und vor einigen Jahren zu Wittenberg eine Universität gegründet. Seitdem ging es mit dem Städtchen langsam, aber stetig aufwärts, zumindest was Bildung und Gelehrsamkeit betraf.
Es war kurz vor Allerheiligen, dem einzigen Tag des Jahres, an dem in der Stadt wirklich etwas los war. Denn an diesem Festtag ließ der Kurfürst die von ihm gesammelten Reliquienschätze seines Allerheiligenstifts in der Schlosskirche ausstellen. Pilger und Reisende strömten zusammen, um die heilbringenden Kostbarkeiten zu bestaunen: Einen Dorn aus der Krone Christi, Stücke aus der Krippe Jesu und Fetzen seiner Windeln, Gold von den Drei Weisen aus dem Morgenland, einen Brocken vom Felsblock, auf dem Christus einst gen Himmel gefahren war, eine Haarsträhne vom Kopf der Gottesmutter. Ja, Allerheiligen war zu Wittenberg der wichtigste Tag im Jahreslauf, und alles fieberte dem großen Ereignis entgegen. Vor allem die Sünder. Denn wer die Reliquienausstellung besuchte, dem winkte ein Ablass – insgesamt kamen an diesem Tag, das hatten Theologen erst kürzlich genauestens errechnet – etwa zwei Millionen Jahre Fegefeuer zusammen, die man sich durch wenig Aufwand sparen konnte. Ein guter Handel, fanden die Menschen.
Eine absurde, gottlose Monstrosität, fand einer der Mönche im Wittenberger Stift.
Der junge Augustiner saß am Vorvorabend des Allerheiligentags in seiner Zelle im Schwarzen Kloster, brütete und schrieb. Draußen war es längst dunkel geworden, nur wenige Lichter brannten noch in den Häusern, denn zu Wittenberg ging man früh schlafen. Auf dem rohen Eichentisch, der unter dem Fenster an der Wand stand, lagen Pergamente, etliche davon schon mit krakeligen, eng gesetzten Buchstaben beschrieben, andere noch jungfräulich oder frisch abgeschabt. Ein Tintenglas mit geöffnetem Deckel steckte in der dafür vorhergesehenen Ausbuchtung, daneben warteten etliche noch ungespitzte Gänsefedern nebst Federmesser auf ihren Einsatz. Eine Bienenwachskerze erhellte den Arbeitsplatz, dazu noch ein Röhrenleuchter und zwei Talglämpchen, die auf vorkragenden Mauersteinen ihren Platz hatten. Es flackerte und rußte, und das alte Fett stank ranzig. Der Mönch roch es längst nicht mehr. Vom Alter her war er schwer zu schätzen, vielleicht Anfang oder Mitte dreißig, wenn man die kaum vorhandenen Gesichtsfalten berücksichtigte. Trotzdem sah er verhärmt aus, angestrengt und überarbeitet. Er trug, wie bei den Augustinern üblich, eine starke Tonsur; seinen kahlen Schädel umzog nur ein knapp daumenbreiter, lockiger Haarkranz. In dem wühlten seine Finger nun aus lauter Verzweiflung, fuhren hinter die Ohren, in den Nacken und über die Glatze, die schon von einem dichten Pelzchen nachgewachsener Haare überzogen war. Ein Schmerzenslaut entrang sich der schmalen Brust des jungen Augustiners, dann las er halblaut, was er bisher geschrieben hatte. »Die Kirche«, murmelte er die deutsche Übersetzung seines lateinischen Textes, »bedarf einer Reformation, welche nicht die Sache eines Menschen, des Papstes, noch die Sache vieler Kardinäle ist, wie die letzten Konzile erwiesen haben. Sondern sie ist die Sache der ganzen
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