Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
verschenken, zur Begeisterung unserer Kleinen und auch zur Freude Jochis, der liebevollsten Tante, die man sich vorstellen kann.
Ich selber habe mir mein Leben auf Riedern gut eingerichtet. Zu Anfang kamen nur wenige Menschen zu mir, um meine Hilfe als Ärztin zu suchen, aber im Lauf der Jahre ist mein Ruf als Medica weit ins Land hinausgedrungen. Ein kleines Fachwerkgebäude, das innen im Burghof an die Mauer angebaut ist, dient mir inzwischen zur Behandlung der Kranken. Im Territorium Riedern gab es ja vorher nur durchziehende Wanderärzte, die Menschen hatten niemanden, zu dem sie gehen konnten. Jetzt sind sie dankbar für meine Kunst, auch wenn sie oft nichts oder nur wenig zahlen können. Dann bringen sie eben ein paar Eier oder einen Krug Most, oder einen Napf Schmalz. Manchmal fahre ich auch mit meinem Wagen übers Land wie früher und besuche die Leute, die nicht zu mir kommen können. Judith begleitet mich oft dabei, seit sie fünf Jahre alt ist, nehme ich sie gerne mit. Sie lernt schnell und ist gut darin, Kinder vor der Behandlung zu beruhigen. Fast glaube ich, dass sie irgendwann einmal in meine Fußstapfen treten könnte. Nun, man wird sehen, was die Zeit bringt. Gerade spielt sie mit den jungen Kätzchen im Hof; ich winke ihr aus dem Arzthäuschen zu, während meine Salbe auf der Feuerstelle blubbert.
Und Ciaran?
Im Frühling vor zwei Jahren begehrte ein hungriger Spielmann Einlass am Tor. Riedern ist längst dafür bekannt, dass es hier immer einen freundlichen Empfang, ein weiches Bett und ein warmes Mahl für Fahrende gibt, und so haben wir oft Besuch. Dieser junge Spielmann nun hatte eine Laute dabei, und so luden wir ihn am Abend ein, für uns zu singen. Er hatte eine schöne, klare Stimme, trug zuerst die weithin bekannten Stücke vor, die Ezzo und ich gern mitsangen. Irgendwann, es wurde schon spät, schlug er auf der Laute ein paar Akkorde an, die mir bekannt vorkamen. Und dann, wir trauten unseren Ohren nicht, sang er ein Lied, das wir beide schon so oft gehört hatten. Ein Lied, das von grünen Hügeln handelte und einem weiten Strom, der sich wie ein silbernes Band durch das Land schlängelte. Das vom Wind sang und vom Meer, von Feen und Kobolden. Von Menschen, die sich an Torffeuern wärmten und sich Geschichten über das Anderland Tir na nÓg erzählten, wo die Zeit nicht zählte. Ich sah Ezzo an, und er mich.
»Freund«, fragte er, als der Spielmann geendet hatte, »von wem hast du dieses Lied gelernt?«
Der junge Musiker lächelte und begann zu erzählen. »Im vorletzten Winter zog ich droben im Norden durchs Land, allein, so wie jetzt. Als es auf Weihnachten zuging, wurde ich krank, so krank, dass ich kaum noch weiterkonnte. Der Husten und das Fieber schüttelten mich, da war es ein Glück, dass mich mein Weg zufällig an einem Kloster vorbeiführte. Mit letzter Kraft bat ich um Einlass, und die Brüder nahmen mich in christlicher Nächstenliebe auf. Es ging mir so schlecht, dass man um mein Leben fürchtete, und ich geriet in einen Zustand zwischen Wachen und Ohnmacht. Einer von den Mönchen pflegte mich in diesen schlimmen Tagen. Immer, wenn ich in einen unruhigen Fieberschlaf fiel, nahm er seine Harfe, setzte er sich zu mir und spielte. Es waren wunderschöne Melodien, wie ich sie noch nie gehört hatte, und oft sang er die Lieder in einer fremden Sprache, die ich nicht verstand. Als ich ihn fragte, sagte er mir, er käme von einer fernen Insel im Nordmeer und sei in seinem früheren Leben einmal Spielmann gewesen. Als es mir wieder besser ging, bat ich ihn, er möge mir doch einige seiner Lieder beibringen, und das tat er gern. Er war ein freundlicher Mensch, sehr fromm und gläubig. Er war noch nicht alt, und trotzdem strahlte er etwas ganz Besonderes aus, wie einer, der das Leben kennt und an einem heiligen Ort Ruhe gefunden hat. Als ich wieder weiterzog, schenkte er mir dies hier.« Der Sänger zog ein Amulett aus seinem Hemdausschnitt, das an einem Lederbändchen hing. Wie gut kannte ich es! Es war die Koralle, die er als Kind von seinen Eltern bekommen hatte. Er hatte sie hergegeben, damit sie dem Spielmann Glück brachte. Und weil seine Vergangenheit wohl nicht mehr von Bedeutung für ihn war.
Ezzo drückte meine Hand. Ich horchte in mich hinein, ob es noch wehtat. Aber da waren weder Schmerz noch Zorn. Meine Erinnerung an Ciaran war klar und rein; ich trug ihm nichts mehr nach.
»Er ist wohl jetzt dort, wo es ihn immer hingezogen hat«, sagte Ezzo.
Ja, der Kreis hatte
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